Die universelle Kirche zeigt sich uns als ein Volk, dessen Einheit aus der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes hervorgeht [Cyprian, De dominica oratione, 23], so lesen wir beim heiligen Cyprian. Es soll euch also nicht wundern, wenn unsere Betrachtung heute am Dreifaltigkeitssonntag von der Kirche handelt, denn sie wurzelt im grundlegenden Geheimnis unseres katholischen Glaubens: in der wesenhaften Einheit des dreifaltigen Gottes.
Die Kirche, ausgerichtet auf die Dreifaltigkeit: so haben die Kirchenväter sie immer gesehen, Wie deutlich sind die Worte des heiligen Augustinus: Gott also wohnt in seinem Tempel, das heißt nicht bloß der Heilige Geist, sondern auch der Vater und der Sohn. Die heilige Kirche ist daher Tempel Gottes und somit der ganzen Dreifaltigkeit [Augustinus, Enchiridion, 56 (PL 40, 258)],
Wenn wir uns hier am nächsten Sonntag wieder einfinden, werden wir Gelegenheit haben, andere Merkmale der Kirche zu betrachten, jene, die wir gleich im Glaubensbekenntnis aussprechen, nachdem wir unseren Glauben an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist bekannt haben.
Et in Spiritum Sanctum, sagen wir und fahren dann fort: et unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam [Credo der heiligen Messe], wir bekennen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.
Alle, die die Kirche wirklich geliebt haben, haben es auch verstanden, diese vier Merkmale mit dem tiefsten, unaussprechlichen Geheimnis unseres Glaubens zu verbinden, mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit: Wir glauben an die Kirche Gottes, die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische, in der wir die Lehre empfangen; wir kennen den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist und werden getauft im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes [Johannes Damaszenus, Adversum Iconoclastas, 12].
Um es niemals zu vergessen, müssen wir das große und tiefe Geheimnis der Kirche, das wir auf Erden nie ergründen werden, oft betrachten. Der Verstand, auf sich allein gestellt, sähe in ihr lediglich eine Anzahl von Menschen, die bestimmte Vorschriften erfüllen und eine gewisse Ähnlichkeit im Denken zeigen. Aber das wäre nicht die heilige Kirche.
In der Kirche finden wir Katholiken unseren Glauben und unsere sittlichen Normen, unser Gebet und das Bewußtsein der Brüderlichkeit, die Gemeinschaft mit allen verstorbenen Brüdern der leidenden Kirche in der Läuterung des Fegefeuers und mit jenen der triumphierenden Kirche, die den dreimal heiligen Gott schon schauen und auf ewig lieben. Es ist die Kirche, die auf der Erde lebt und zugleich über der Geschichte steht, die Kirche, die unter dem Schutz Unserer Lieben Frau geboren wurde und die sie immerfort – auf Erden wie im Himmel – als Mutter preist.
Stärken wir in uns die Überzeugung, daß die Kirche übernatürlich ist; bekennen wir es laut, sehr laut, wenn nötig; denn heute haben viele, nach außen hin in der Kirche und sogar weit oben, solche Grundwahrheiten vergessen: sie führen uns das Bild einer Kirche vor Augen, die weder die Heilige noch die Eine ist, die weder Apostolisch noch Katholisch sein kann, denn sie ruht nicht auf dem Felsen Petri, sondern ist durchsetzt von unrechtmäßigem Eigensinn und menschlicher Eigenwilligkeit.
Das alles ist keineswegs neu. Seitdem unser Herr Jesus Christus die Kirche gegründet hat, ist diese unsere Mutter ständig der Verfolgung ausgesetzt gewesen: früher vielleicht in aller Offenheit, heute oft heimlich und versteckt. Heute wie gestern fährt man fort, die Kirche zu bekämpfen.
Ich möchte betonen, daß ich weder meinem Temperament noch meinem Charakter nach ein Pessimist bin. Wie könnte man auch ein Pessimist sein, wenn der Herr versprochen hat, bei uns zu bleiben bis ans Ende der Zeiten? [Vgl. Mt 28,20]
Das öffentliche Wirken der Kirche begann ja mit der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Jünger im Abendmahlssaal [Ecclesia, quae iam concepta, ex latere ipso secundi Adami velut in cruce dormientis orta erat, sese in lucem hominum insigni modo primitus dedit die celeberrima Pentecostes. Ipsaque die beneficia sua Spiritus Sanctus in mystico Christi Corpore prodere coepit (Leo XIll., Enzyklika Divinum illud munus, AAS, 29, S. 648)].
Gott, unser Vater – ein liebender Vater, der uns wie seinen Augapfel hütet [Dt 32,10], wie es in der Heiligen Schrift zu unserem besseren Verständnis so einprägsam heißt –, Gott hört nicht auf, die von seinem Sohn gestiftete Kirche durch den Heiligen Geist zu heiligen. Doch gegenwärtig durchlebt die Kirche eine schwere Zeit, in der viele Menschen ratlos geworden sind. Die Verwirrung feiert wahre Triumphe und aufs neue werden die Irrtümer aller vergangenen Jahrhunderte marktschreierisch feilgeboten.
Glauben. Wir brauchen Glauben. Mit den Augen des Glaubens werden wir entdecken, daß die Kirche ihre Rechtfertigung in sich trägt und um sich ausbreitet. Wer sie betrachtet, wer sie mit wahrheitsliebenden Augen prüft, wird erkennen, ungeachtet der Menschen, die sie bilden, und der konkreten Gestalt, in der sie sich zeigt, daß sie in sich eine Botschaft des Lichtes trägt, einzigartig und universal, befreiend und notwendig, göttlich [Paul VI., Ansprache vom 23. 6. 1966].
Wenn wir häretische Stimmen hören – ich muß sie so nennen, denn Schönfärberei widerstrebt mir –, wenn wir feststellen, daß man ungestraft die Heiligkeit der Ehe und des Priestertums angreift, daß man die unbefleckte Empfängnis und die immerwährende Jungfräulichkeit unserer Mutter Maria und alle ihre Vorzüge, mit denen Gott sie ausgestattet hat, bestreitet, das fortwährende Wunder der realen Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie, den Primat des Papstes und selbst die Auferstehung Christi in Frage stellt, – wie soll uns da nicht Traurigkeit erfüllen? Doch habt Vertrauen, denn die heilige Kirche ist unzerstörbar. Die Kirche wird wanken, wenn ihr Fundament wankt. Aber kann Christus wanken? Da Christus nicht wankt, wird auch die Kirche nicht wanken bis ans Ende der Zeiten [Augustinus, Enarrationes in Psalmos, 103,2,5 (PL 37, 1353)].
So wie es in Christus zwei Naturen gibt – die menschliche und die göttliche –, so können wir analog auch vom Menschlichen und Göttlichen in der Kirche sprechen. Was in ihr menschlich ist, bleibt keinem verborgen: in der Welt besteht die Kirche aus Menschen und für die Menschen – und Menschsein umfaßt Freiheit, Größe und Kleinmut, Heroismus und Feigheit.
Nur das Menschliche in der Kirche zu sehen, würde jedoch bedeuten, sie nicht verstanden zu haben, ja nicht einmal an die Schwelle des eigentlichen Geheimnisses gelangt zu sein. Die Heilige Schrift gebraucht zahlreiche Bilder aus unserer Erfahrungswelt, um uns das Reich Gottes zu erklären und auf seine Gegenwart unter uns in der Kirche hinzuweisen: Vergleiche mit einem Schafstall, mit einer Herde, mit einem Haus, mit einem Samenkorn, mit einem Weinberg, mit dem Feld, auf dem der Herr pflanzt oder baut. Sie benutzt besonders einen Ausdruck, der alles zusammenfaßt: die Kirche ist der Leib Christi.
Christus bestimmte die einen zu Aposteln, andere zu Propheten, wieder andere zu Glaubensboten oder zu Hirten und Lehrern. Sie sollen die Heiligen zur Ausübung des Dienstes heranbilden, zum Aufbau des Leibes Christi [Eph 4,11–12]. An anderer Stelle schreibt der heilige Paulus: So bilden wir viele zusammen einen Leib in Christus, einzeln aber sind wir Glieder untereinander [Röm 12,5]. Wieviel Licht schenkt uns der Glaube! Wir alle sind in Christus, denn Er ist das Haupt des Leibes, der Kirche [Kol 1,18].
Dieses ist der Glaube, den die Christen immer bekannt haben. Hören wir die Worte des heiligen Augustinus: Ich bin sicher, daß ihr die Wahrheit gut kennt: der ganze Christus wird vom Haupt und vom Leib gebildet. Das Haupt ist unser Heiland selbst, der unter Pontius Pilatus gelitten hat und jetzt, auferstanden von den Toten, zur Rechten des Vaters sitzt. Und sein Leib ist die Kirche: nicht diese oder jene Kirche, sondern die Kirche, die in der ganzen Welt verbreitet ist. Und nicht nur die Kirche, welche die jetzt lebenden Menschen bilden, denn zu ihr gehören auch jene, die vor uns gelebt haben und jene, die nach uns bis ans Ende der Welt leben werden. Die ganze Kirche, die von der Gemeinschaft der Gläubigen gebildet wird – denn alle Gläubigen sind Glieder Christi –, hat Christus zu ihrem Haupt, der sie vom Himmel leitet. Und obwohl dieses Haupt dem leiblichen Auge unsichtbar bleibt, ist es mit ihr durch die Liebe verbunden [Augustinus. Ennarationes in Psalmos, 56, 1 (PL 36, 661)].
Jetzt begreifen wir, warum man die sichtbare Kirche nicht von der unsichtbaren trennen kann. Die Kirche ist zugleich ein mystischer und rechtlich verfaßter Leib. Gerade weil sie Leib ist, kann die Kirche mit den Augen wahrgenommen werden [Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, AAS, 28, S. 710], lehrt Leo XIII. An diesem sichtbaren Leib der Kirche – im Verhalten von uns Menschen, die wir die Kirche hier auf Erden bilden – treten Elend, Verzagtheit und Verrat hervor. Aber die Kirche ist weder nur dies noch erschöpft sie sich in solchen Erbärmlichkeiten; nein, es fehlt auch hier und heute nicht an Großmut, Heroismus und unauffälliger Heiligkeit, noch an Menschen, die ihr Leben im Dienst ihrer Glaubensbrüder und aller Menschen freudig hingeben.
Aber auch wenn wir auf mehr Feigheit als Mut hinweisen müßten, so bliebe doch noch – deutlich und unleugbar, mag sie auch den Sinnen verborgen bleiben – die mystische Wirklichkeit des Leibes Christi: unser Herr selbst, das Wirken des Heiligen Geistes, die liebevolle Gegenwart des Vaters.
Das Menschliche und das Göttliche in der Kirche sind also untrennbar. Die Kirche ist ihrem Ursprung nach eine göttliche Gesellschaft; ihrem Ziel und den dazu führenden Mitteln nach übernatürlich; weil sie aber aus Menschen besteht, ist sie auch eine menschliche Gesellschaft [Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, AAS, 28, S. 724], lehrt Leo XIII. Sie lebt und wirkt in der Welt, aber ihr Ziel und ihre Stärke liegen nicht auf der Erde, sondern im Himmel.
Es wäre ein großer Irrtum, wollte man versuchen, eine Trennung einzuführen zwischen einer charismatischen Kirche, die allein wirklich von Christus gegründet worden sei – und einer Rechts– oder Amtskirche, die als bloßes Menschenwerk und als geschichtlich bedingt anzusehen wäre. Es gibt nur eine Kirche, Christus hat nur eine Kirche gegründet: sichtbar und unsichtbar zugleich, hierarchisch aufgebaut, mit einer Struktur göttlichen Rechtes also, und mit einer im Übernatürlichen wurzelnden Dynamik, die sie beseelt, erhält und lebendig macht.
Wir wollen auch nicht vergessen, daß der Herr, als Er seine Kirche gründete, diese nicht in einer Weise gedacht und gestaltet hat, als sollte sie aus mehreren in ihrer Art ähnlichen aber doch verschiedenen Gemeinschaften bestehen, die nicht durch jene Bande, welche die eine und einzige Kirche bilden, geeint wären… Als Jesus Christus von diesem mystischen Bau sprach, erwähnte Er nur eine Kirche, Er nannte sie seine Kirche: »Ich werde meine Kirche bauen« (Mt 16,18). Jede andere außer dieser, welche man auch immer sich denken mag, kann die wahre Kirche Christi nicht sein, da sie nicht von Christus gestiftet ist [Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, AAS, 28, S. 712 und 713].
Ich wiederhole: Glauben! Stärken wir unseren Glauben! Bitten wir die Allerheiligste Dreifaltigkeit darum, deren Fest wir heute feiern. Alles ist möglich, nur dies nicht: daß Gott, der dreimal Heilige, seine Braut im Stich läßt.
Der heilige Paulus versichert im ersten Kapitel des Briefes an die Epheser, daß das Geheimnis Gottes, von Christus verkündet, sich in der Kirche verwirklicht. Gott, der Vater, hat Christus alles zu Füßen gelegt. Ihn hat Er als Oberhaupt über die ganze Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib, erfüllt von Ihm, der alles mit allem erfüllt [Eph 1,22]. Und dies ist der geheimnisvolle Ratschluß Gottes, den Er in der Fülle der Zeiten in Christus auszuführen beschlossen hatte: alles im Himmel und auf Erden in Christus als dem Haupte zusammenzufassen [Eph 1,10].
Unerforschlich ist dieses Geheimnis, ganz und gar ein Geschenk aus Liebe, denn Gott hat uns schon vor Erschaffung der Welt auserwählt, daß wir heilig und untadelig vor Ihm seien, aus Liebe [Eph 1,4]. Die Liebe Gottes kennt keine Grenzen. Unser Erlöser will – so verkündet Paulus –, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen [1 Tim 2,4–6].
Dies, und nur dies, ist das Ziel der Kirche: das Heil der Seelen, das Heil jedes einzelnen. Deshalb hat der Vater den Sohn gesandt, und so sende auch ich euch [Joh 20,21]. Daher der Befehl, die Lehre zu verkünden und die Taufe zu spenden, damit durch die Gnade die Allerheiligste Dreifaltigkeit in der Seele wohne: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. So geht denn hin und macht alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie alles halten lehrt, was ich euch geboten habe. Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt [Mt 28,18–20].
Mit diesen Worten, einfach und feierlich zugleich, schließt das Matthäus–Evangelium. Sie enthalten die Verpflichtung, die Wahrheiten des Glaubens zu predigen; die dringende Notwendigkeit, aus den Sakramenten zu leben; die Verheißung, daß Christus seiner Kirche immer beistehen wird. Man ist dem Herrn nicht treu, wenn man diese auf das übernatürliche gerichteten Pflichten – die Unterweisung im christlichen Glauben und in der christlichen Moral, den Empfang der Sakramente – vernachlässigt. Denn mit diesem Auftrag stiftete Christus seine Kirche, alles andere ist da zweitrangig.
Vergessen wir nicht, daß die Kirche viel mehr ist als bloß einer der Wege des Heiles: sie ist der einzige Weg. Das haben sich nicht Menschen ausgedacht, sondern Christus hat es so gewollt: Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden [Mk 16,16]. Deshalb heißt es, daß die Kirche alleinseligmachend und heilsnotwendig ist. Bereits im zweiten Jahrhundert schrieb Origenes: Will einer das Heil erlangen, so komme er in dieses Haus, damit es ihm gelinge… Keiner soll sich täuschen: außerhalb dieses Hauses, das heißt außerhalb der Kirche, erlangt keiner das Heil [Origenes, In Jesu nave homilia, 5, 3 (PG 2, 849)]. Ebenso schrieb der heilige Cyprian: So wenig einer zu entrinnen vermochte, der außerhalb der Arche Noah war, ebensowenig vermag einer zu entkommen, der außerhalb der Kirche steht [Cyprian, De catholicae Ecclesiae unitate, 6 (PL 4, 502)].
Extra Ecclesiam, nulla salus: außerhalb der Kirche kein Heil. Diese ist die stete Mahnung der Kirchenväter. So heißt es beim heiligen Augustinus: Man kann Ehre empfangen, man kann Sakramente besitzen, man kann »Alleluja« singen, man kann »Amen« antworten, man kann das Evangelium verteidigen, man kann an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist glauben und diesen Glauben verkündigen: außerhalb der katholischen Kirche kann man alles finden, nur nicht das Heil [Augustinus, Sermo ad Caesariensis ecclesiae plebem, 6].
Dennoch – wie vor etwa zwanzig Jahren Pius XII. beklagte – schränken einige die Notwendigkeit, zur wahren Kirche zu gehören, um das ewige Heil zu erlangen, auf eine bloße Formel ein [Pius XII., Enzyklika Humani generis, AAS, 42, S. 570]. Und doch bildet diese Glaubenswahrheit die Grundlage des miterlösenden Wirkens der Kirche, sie ist das Fundament der schweren apostolischen Verantwortung der Christen. Doch gab der Erlöser nicht nur das Gebot, daß alle Völker in die Kirche eintreten sollen, sondern Er bestimmte auch, daß die Kirche ein Heilsmittel sei, ohne das niemand in das Reich der himmlischen Glorie gelangen kann [Pius XII., Brief des Heiligen Offiziums an den Erzbischof von Boston, Denzinger–Schön. 3868].
Unser Glaube lehrt, daß niemand gerettet wird, der nicht der Kirche angehört, und daß niemand in die Kirche Aufnahme findet, der sich nicht taufen läßt. Die Rechtfertigung – so erklärt das Konzil von Trient – ist nach der Verkündigung des Evangeliums ohne das Bad der Wiedergeburt oder das Verlangen danach nicht möglich [Dekret De iustificatione, Kap 4, Denzinger–Schön. 1524]. Dieser Anspruch, den die Kirche immer erhoben hat, spornt einerseits um so mehr unseren apostolischen Eifer an und verdeutlicht zum anderen die unendliche Barmherzigkeit Gottes gegenüber seinen Geschöpfen.
Seht, wie der heilige Thomas dies erklärt: Das Sakrament der Taufe kann in zweifacher Weise jemandem fehlen. Erstens der Wirklichkeit und dem Verlangen nach. So bei denen, die weder getauft sind noch getauft werden wollen. Das bedeutet bei Menschen, die den Gebrauch des freien Willens haben, offensichtlich eine Verachtung des Sakramentes. Diejenigen also, welchen die Taufe in dieser Weise fehlt, können das Heil nicht erlangen, da sie weder in sakramentaler noch in geistiger Weise Christus einverleibt sind, durch den allein das Heil kommt. Zweitens kann das Sakrament der Taufe jemandem fehlen wohl in Wirklichkeit, aber nicht dem Verlangen nach; so, wenn jemand die Taufe begehrt, aber durch einen Unfall vom Tode überrascht wird, bevor er die Taufe empfängt. Ein solcher kann ohne wirkliche Taufe das Heil erlangen wegen der Sehnsucht nach der Taufe, welche aus »dem in der Liebe tätigen Glauben« (Gal 5,6) hervorgeht. Durch diesen Glauben heiligt Gott innerlich den Menschen, da seine Macht nicht an die sichtbaren Sakramente gebunden ist [Thomas von Aquin, S. Th., III, q 68, a 2].
Auch wenn die Gnade ein reines Geschenk ist, das niemandem auf Grund irgendeines Rechtes geschuldet wird – erst recht nicht nach der Sünde –, verweigert Gott keinem Menschen die ewige, übernatürliche Glückseligkeit; denn seine Großzügigkeit kennt keine Grenzen. Es ist wohlbekannt, daß jene, die schuldlos unsere heilige Religion nicht kennen, aber das Naturgesetz und seine von Gott in die Herzen aller Menschen eingeprägten Gebote beobachten und bereit sind, Gott zu gehorchen und ein rechtschaffenes, aufrechtes Leben zu führen, das ewige Leben durch die wirkende Kraft des göttlichen Lichtes und der Gnade erlangen können [Pius IX, Enzyklika Quanto conficiamur moerore vom 10.08.1863, Denzinger–Schön. 1677 (2866)]. Nur Gott weiß, was im Herzen eines Menschen vorgeht; und seine Sorge wendet sich der Seele jedes einzelnen zu, dem einzelnen, nicht einer namenlosen Menge. Keiner hat also das Recht, hier auf Erden über Heil oder Verdammnis eines Menschen zu urteilen.
Wir wollen aber nicht vergessen, daß sich das Gewissen schuldhaft verbilden, durch die Sünde verhärten und dem Heilswirken Gottes widersetzen kann. Es ist also nötig, die Lehre Christi, die Wahrheiten des Glaubens und die Forderungen der Moral zu verkünden. Und deshalb sind auch die Sakramente so wichtig, eingesetzt von Jesus Christus als wirksame Mittel zur Erlangung der Gnade [Vgl. Thomas von Aquin, S. Th., III, q. 62, a. 1] und als Hilfe für das Elend der gefallenen Natur [Vgl. Thomas von Aquin, S. Th. III, q. 61, a. 2]. Und aus diesem Grunde ist es ratsam, häufig das Bußsakrament und die heilige Kommunion zu empfangen.
Alle in der Kirche, und besonders die Hirten, tragen also eine ungeheure Verantwortung, klar umrissen in den Ermahnungen des Apostels Paulus: Ich beschwöre dich vor Gott und Christus Jesus, dem einstigen Richter der Lebendigen und der Toten, bei seiner Wiederkunft und bei seinem Reiche: Verkündige das Wort! Tritt dafür ein, es sei gelegen oder ungelegen. Überführe, weise zurecht und ermahne mit aller Geduld und allem Geschick. Denn es kommt die Zeit, da man die gesunde Lehre unerträglich findet und sich nach eigenem Sinn Lehrer über Lehrer sucht, um sich einen Ohrenschmaus zu verschaffen. Der Wahrheit verschließt man das Ohr und ergötzt sich an Fabeln [2 Tim 4,1–4].
Wie oft diese prophetischen Worte des Apostels sich schon bewahrheitet haben mögen, bleibe dahingestellt; jedenfalls wird nur ein Blinder nicht sehen, daß sie heute fast buchstäblich zutreffen. Das Gesetz Gottes und die Lehre der Kirche werden abgelehnt, die Seligpreisungen verdreht und politisch–gesellschaftlich umgemünzt. Wer sich um Demut, Milde oder Reinheit des Herzens bemüht, wird als unwissend und rückschrittlich abgetan. Das Joch der Keuschheit erscheint unerträglich und man findet tausend Wege, die göttlichen Gebote Christi zu verhöhnen.
Allen diesen Bestrebungen ist eines gemeinsam: der Versuch, der Kirche ihr übernatürliches Ziel zu nehmen. Unter Gerechtigkeit verstehen manche nicht mehr ein Leben in Heiligkeit, sondern eine bestimmte Form des politischen Kampfes, mehr oder weniger deutlich am Marxismus ausgerichtet, der mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist. Unter Befreiung versteht man nicht mehr das persönliche Ringen um Freiheit von der Sünde, sondern ein menschliches Werk, das – mag es auch in sich noch so achtbar und gerecht sein – für den Christen sinnentleert bleibt, wenn es das einzig Notwendige [Vgl. Lk 10,42], das Heil der Seelen, das Heil eines jeden einzelnen, entwertet.
Dieses Volk ehrt mich nur mit den Lippen, sein Herz jedoch ist fern von mir [Mt 15,8]: da man sich von Gott entfernt hat, arbeitet man aus Blindheit an einem Bild der Kirche, das sich in nichts mit der von Christus gestifteten Kirche deckt. Sogar das heiligste Altarsakrament – die Erneuerung des Kreuzesopfers wird entehrt oder zum bloßen Symbol einer sogenannten mitmenschlichen Gemeinschaft abgewertet. Was wäre aus uns Menschen geworden, wenn unser Herr sein kostbares Blut nicht bis zum letzten Tropfen für uns vergossen hätte? Wie ist es möglich, daß dieses immerwährende Wunder der realen Gegenwart Christi im Tabernakel so verschmäht wird? Er ist unter uns geblieben, damit wir Umgang mit Ihm suchen, Ihn anbeten und, im Besitz dieses Unterpfandes der künftigen Herrlichkeit, uns entschließen, seinen Spuren zu folgen.
Wir leben in einer Zeit der Prüfung. Bitten wir den Herrn, rufen wir unablässig zu Ihm [Vgl. Is 58,1], Er möge sie abkürzen, Er möge barmherzig auf seine Kirche herabschauen und Hirten wie Gläubigen von neuem das übernatürliche Licht schenken. Die Kirche hat es nicht nötig, den Beifall der Menschen zu suchen, denn von den Menschen – weder von einem allein noch von allen zusammen – wird niemals das ewige Heil kommen: Gott ist es, der uns errettet.
Heute tut es not, mit lauter Stimme jene Worte des Petrus an die Vorsteher und Ältesten von Jerusalem auszurufen: Er ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen ward und der nun zum Eckstein geworden ist. In keinem anderen ist Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden sollen [Apg 4,11–12].
So sprach der erste Papst, der Fels, auf den Christus seine Kirche gebaut hat; ihn bewegte die kindliche Liebe zum Herrn und die Sorge um die ihm anvertraute kleine Herde. Von ihm und von den anderen Aposteln lernten die ersten Christen, die Kirche innig zu lieben.
Habt ihr nicht bemerkt, wie abschätzig dagegen heute über unsere heilige Mutter, die Kirche, geredet wird? Wie tröstlich ist es, bei den alten Kirchenvätern so viele Zeugnisse glühender Liebe zur Kirche Christi zu finden. Hören wir den heiligen Augustinus: Lieben wir den Herrn, unseren Gott; lieben wir seine Kirche. Ihn wie einen Vater, sie wie eine Mutter. Keiner soll sagen: »Ja, ich gehe noch zu den Götzen, befrage die Besessenen und Zauberer, aber ich verlasse die Kirche Gottes nicht, ich bin Katholik.« Ihr bleibt so bei der Mutter, aber ihr beleidigt den Vater. Ein anderer wird sagen: »Gott bewahre! Ich befrage weder Zauberer noch Besessene, ich erforsche nicht die Zukunft in gotteslästerlicher Weise, ich bete die Dämonen nicht an, ich diene nicht den steinernen Götzen, aber ich gehöre zur Partei des Donatus.« Wozu nützt es, den Vater nicht zu beleidigen, wenn dieser die Mutter, die ihr doch beleidigt, rächen wird? [Augustinus, Enarrationes in psalmos, 88, 2, 14 (PL37, 1140)] Und der heilige Cyprian erklärt in prägnanter Weise: Wer Gott nicht zum Vater hat, kann die Kirche nicht zur Mutter haben [Cyprian, De catholicae Ecclesiae unitate, 6 (PL 4, 502)].
In unserer Zeit weigern sich viele, die wahre Lehre über die Kirche, unsere Mutter, zu hören. Einige wollen der Institution Kirche eine neue Form geben. Sie unternehmen den wahnwitzigen Versuch, im mystischen Leib Christi eine Demokratie einzuführen, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft praktiziert oder – besser gesagt – zu praktizieren vorgegeben wird: alle in allem gleich. Und sie sehen nicht, daß die Kirche durch göttliche Einsetzung aus Papst und Bischöfen, Priestern, Diakonen und Laien gebildet wird. Jesus hat es so gewollt.
Die Kirche ist kraft göttlichen Willens hierarchisch gegliedert. Das II. Vatikanische Konzil nennt sie eine mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft [II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Lumen Gentium, Nr 8], in welcher die Amtsträger mit heiliger Vollmacht ausgestattet sind [II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Lumen Gentium, Nr. 18]. Die Hierarchie ist nicht nur mit der Freiheit vereinbar, sondern sie steht im Dienste der Freiheit der Kinder Gottes [Vgl. Röm 8,21].
Der Begriff »Demokratie« hat in der Kirche keinen Sinn, denn – ich betone es nochmals – sie ist dem Willen Gottes entsprechend hierarchisch aufgebaut. Aber Hierarchie bedeutet heilige Leitung und geheiligte Ordnung, keineswegs aber menschliche Willkür oder Tyrannei. Die hierarchische Ordnung, die der Herr seiner Kirche gab, darf nicht zu einer tyrannischen Herrschaft werden, denn Autorität ist in sich – wie der Gehorsam – Dienst.
In der Kirche besteht Gleichheit: durch die Taufe werden wir alle gleich, weil wir alle Kinder des einen Gottes, unseres Vaters, sind. Im Christsein unterscheidet den Papst nichts von einem Täufling, der soeben erst in die Kirche aufgenommen wurde. Aber diese grundlegende Gleichheit bringt nicht mit sich, daß die Verfassung der Kirche in dem, was Christus selbst bestimmt hat, geändert werden könnte. Dem ausdrücklichen Willen Gottes entsprechend besteht eine Verschiedenheit der Aufgaben, die auch eine unterschiedliche Befähigung mit sich bringt, – im Fall der geweihten Amtsträger ein unauslöschliches Prägemal, das durch das Sakrament der Priesterweihe verliehen wird. An der Spitze dieser heiligen Ordnung stehen der Nachfolger Petri und – mit ihm und ihm untergeordnet – alle Bischöfe mit der dreifachen Aufgabe, zu heiligen, zu leiten und zu lehren.
Ich möchte es nochmals eindringlich betonen: die Wahrheiten der Glaubens– und Sittenlehre werden nicht durch Abstimmung festgelegt: sie bilden das Glaubensgut – depositum fidei –, das Christus allen Gläubigen geschenkt und dem Lehramt der Kirche anvertraut hat, damit sie es mit Autorität darlegt und lehrt.
Es wäre verfehlt anzunehmen, man müsse heute, da die Menschen sich ihrer Zusammengehörigkeit vielleicht bewußter geworden sind, die Verfassung der Kirche ändern und sie der Zeit anpassen. Die Zeit gehört nicht den Menschen, weder den Laien noch den Klerikern, sondern Gott, dem Herrn der Geschichte. Und die Kirche kann den Menschen nur dann das Heil vermitteln, wenn sie in ihrer Verfassung, in ihren Dogmen und in ihrer Sittenlehre Christus treu bleibt.
Weisen wir also die Vorstellung von uns, die Kirche solle – die Bergpredigt vergessend – das irdische Glück des Menschen verfolgen; denn wir wissen, daß ihr einziger Auftrag darin besteht, die Menschen zum ewigen Heil zu führen; weisen wir jede naturalistische Lösung von uns, die die entscheidende Rolle der Gnade Gottes verkennt; weisen wir von uns jene materialistischen Auffassungen, welche die Bedeutung der geistig–religiösen Werte im Leben des Menschen herunterspielen möchten; weisen wir von uns auch jene nur dem Diesseits verhafteten Theorien, die das Ziel der Kirche Gottes dem irdischer Staaten gleichsetzen, indem sie ihr Wesen, ihre Einrichtungen und ihr Wirken mit denen der zivilen Gesellschaft verwechseln.
Vergegenwärtigt euch die Worte des Apostels Paulus in der heutigen Lesung: O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege! Denn wer erfaßt die Gedanken des Herrn? Wer ist sein Ratgeber? Wer gibt Ihm zuerst, was Ihm vergolten werden müßte? Aus Ihm und durch Ihn und für Ihn ist alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen [Röm 11,33–36]. Wie kümmerlich erscheinen im Licht des Wortes Gottes alle menschlichen Pläne, die zu ändern suchen, was unser Herr festgesetzt hat!
Doch kann ich nicht einfach über die Tatsache hinweggehen, daß heute überall eine seltsame Fähigkeit des Menschen zu beobachten ist: da er gegen Gott nichts vermag, tobt er sich als furchtbares Werkzeug des Bösen gegen seine Mitmenschen aus, als Verführer zur Sünde, als Ausstreuer der Verwirrung, die zum Bösen führt, das er dann als gut bezeichnet.
Unwissenheit hat es immer gegeben: aber in unserer Zeit versteckt sich manchmal die nackte Unwissenheit in Fragen des Glaubens und der Sitten unter dem Mantel einer hochtrabenden, scheinbar theologischen Sprache. Daher ist heute der Befehl Christi – wir haben ihn im Evangelium gehört – besonders dringend und aktuell: Geht hin und lehrt alle Völker [Mt 28,19]. Wir dürfen uns ihm nicht entziehen, dürfen nicht mit verschränkten Armen dastehen und uns in uns verschließen. Ziehen wir vielmehr im Namen Gottes aus, für diesen herrlichen Kampf des Friedens und der guten Lehre.
Bemühen wir uns um Verständnis und decken wir alles mit dem Mantel der Liebe zu. Diese Liebe wird unseren Glauben festigen, unsere Hoffnung vermehren und uns den Starkmut geben, laut hinauszurufen, daß die Kirche nicht so ist, wie man es uns glauben machen will. Die Kirche ist göttlich, ihr einziges Ziel das Heil der Seelen. Suchen wir die Nähe des Herrn, sprechen wir mit Ihm im Gebet von Angesicht zu Angesicht, bitten wir Ihn um Vergebung für unsere eigenen Erbärmlichkeiten, sühnen wir für unsere Sünden und für die Sünden aller Menschen: auch für die Sünden der vielen, die sich inmitten einer derartigen Verwirrung vielleicht nicht darüber im klaren sind, daß sie Gott schwer beleidigen.
Wie in jeder heiligen Messe, so wird Christus auch am heutigen Sonntag das Kreuzesopfer unblutig erneuern und – als Priester und Opfer zugleich – sich selbst dem Vater für die Sünden der Menschen darbringen. Lassen wir Ihn nicht allein; schüren wir in uns den brennenden Wunsch, Ihm nahe zu sein, ganz nahe beim Kreuz; rufen wir inständig zum Vater, dem barmherzigen Gott, daß Er uns den Frieden wiedergebe: den Frieden der Welt, den Frieden der Kirche, den Frieden der Gewissen. So werden wir neben dem Kreuz Maria, die Mutter Gottes und unsere Mutter, finden. An ihrer Hand werden wir zu Jesus und durch Ihn im Heiligen Geist zum Vater gelangen.
Die liturgischen Texte des heutigen Sonntags bilden eine Kette von Anrufungen an den Herrn. Wir sagen Ihm, daß Er unser Beschützer ist, unser Fels, unser Hort [Vgl. Ps 17,19–20. 2–3 (Introitus der Messe)]. Und das Tagesgebet führt dieses Motiv des Introitus weiter: Du entziehst ja nie Deine Leitung jenen, die Du fest in Deiner Liebe begründest [Tagesgebet des 2. Sonntags nach Pfingsten].
Auch im Graduale suchen wir bei Ihm unsere Zuflucht: Ich schrie zum Herrn in meiner Not… Herr, rette mich vor Lästerlippen und vor Lügenzungen. O Herr, mein Gott, auf Dich vertraue ich! [Ps 119,1–2; Ps 7,2 (Graduale der Messe)] Es ist bewegend, wie uns Gott, unser Vater, doch immer wieder eindringlich mahnt, zu seiner Barmherzigkeit zu flüchten, was immer auch geschehen mag. Sogar jetzt, in diesen Augenblicken, da verworrene Stimmen in der ganzen Kirchen zu hören sind; es sind Zeiten des Irregehens, denn viele Seelen finden keine guten Hirten, die sie wie Christus hinleiten würden zur Liebe des Herrn. Statt dessen stoßen sie auf Diebe und Räuber, die kommen, um zu stehlen, zu morden und zu verderben [Joh 10,8.10].
Fürchten wir uns nicht. Die Kirche ist der Mystische Leib Christi. Unerschütterlich wird sie der Weg sein und der Schafstall des Guten Hirten – festes Fundament und offene Straße für alle Menschen. Soeben haben wir es im heiligen Evangelium gelesen: Geh hinaus an die Wege und Zäune und nötige die Leute hereinzukommen, damit mein Haus voll werde [Lk 14,23].
Aber was ist die Kirche? Wo ist die Kirche? Benommen und verwirrt erhalten viele Christen keine sichere Antwort auf diese Fragen und verfallen vielleicht auf den Gedanken, daß die Antworten, die das Lehramt Jahrhunderte hindurch gegeben hat – und die die guten Katechismen mit einer das Wesentliche erfassenden Genauigkeit und Einfachheit wiedergaben –, überholt sind und durch neue ersetzt werden müssen. Es scheint, daß verschiedene Ereignisse und Schwierigkeiten zusammengetroffen sind und das reine Antlitz der Kirche entstellt haben. Einige behaupten: Hier ist die Kirche – im Eifer, sich an die sogenannte moderne Zeit anzupassen. Andere schreien: Die Kirche ist nichts anderes als das Streben der Menschen nach Solidarität; wir müssen sie umgestalten, wie es die heutige Situation erfordert.
Sie irren sich. Die Kirche ist heute dieselbe, die Christus gestiftet hat, und sie kann keine andere sein. Die Apostel und ihre Nachfolger sind Stellvertreter Gottes für die Regierung der Kirche, die auf den Glauben und auf die Sakramente des Glaubens gegründet ist. Und so wie es ihnen nicht gestattet ist, eine andere Kirche zu stiften, dürfen sie auch keinen anderen Glauben verkünden oder andere Sakramente einsetzen; denn es heißt, daß die Kirche durch die Sakramente, die aus der Seite des am Kreuz hängenden Christus geflossen sind, gebildet worden ist [Thomas von Aquin, S.Th. III, q 64, a 2, ad 3]. Die Kirche muß an jenen vier Merkmalen erkannt werden können, die im Glaubensbekenntnis eines der ersten Konzilien zum Ausdruck gebracht werden und die wir im Credo der Messe betend wiederholen. Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche [Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis, DS 150 (86)]. Das sind die Wesenseigenschaften der Kirche, die sich aus ihrer Natur, wie Christus sie gewollt hat, ableiten. Und als Wesenseigenschaften sind sie auch Merkmale, Zeichen, die sie von allen anderen menschlichen Gemeinschaften unterscheiden, selbst wenn in diesen der Name Christi ausgesprochen wird.
Vor etwas mehr als einem Jahrhundert hat Papst Pius IX. diese traditionelle Lehre kurz zusammengefaßt: Die wahre Kirche Jesu Christi ist von der göttlichen Autorität durch ein vierfaches Merkmal gekennzeichnet und unterschieden worden. Im Glaubensbekenntnis stimmen wir ihm gläubig zu. Jedes dieser Merkmale ist aber so eng mit den anderen verbunden, daß es sich von ihnen nicht trennen läßt. So kommt es, daß jene Kirche, die wirklich die katholische ist und heißt, zugleich die Vorrechte der Einheit, der Heiligkeit und der apostolischen Nachfolge deutlich aufweisen muß [Pius IX., Brief des Hl. Offiziums an die Bischöfe Englands, 16.9.1864, DS 2888 (1686)].
Das ist, ich betone es, die traditionelle Lehre der Kirche, die das II. Vatikanische Konzil – obzwar einige, von einer falschen Ökumene geleitet, sie in den letzten Jahren vergessen – erneut wiederholt hat: Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen, ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut, für immer hat er sie als »Säule und Feste der Wahrheit« errichtet [II. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution Lumen gentium, Nr 8].
Damit sie eins seien, wie wir eins sind [Joh 17,11], ruft Christus zum Vater. Laß sie alle eins sein. Wie Du, Vater, in mir bist und ich in Dir bin, so laß sie in uns eins sein [Joh 17,21]. Ständig strömt von den Lippen Jesu Christi diese Aufforderung zur Einheit, denn jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt; keine Stadt, kein Haus, das in sich uneins ist, kann Bestand haben [Mt 12,25]. Eine Predigt, die zum brennenden Verlangen wird: Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind. Auch die muß ich herbeiführen; sie werden auf meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirt sein [Joh 10,16].
Mit welch wunderbaren Schattierungen hat unser Herr doch von dieser Lehre gesprochen. Er reiht ein Gleichnis und ein Bild an das andere, damit wir sie verstehen, damit diese Leidenschaft für die Einheit unserer Seele tief eingeprägt bleibt. Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet Er ab; jede, die Frucht bringt, reinigt Er, damit sie noch mehr Frucht bringe… Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich selbst keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun [Joh 15,1–5].
Seht ihr nicht, wie jene, die sich von der Kirche trennen, auch wenn sie manchmal voller Blätter sind, sehr bald verdorren und ihre Früchte sich in lebende Fäulnis verwandeln? Liebt die Heilige, die Apostolische, die Römische Kirche – die Eine Kirche! Denn, so schreibt der heilige Cyprian, wer woanders, außerhalb der Kirche, sammelt, der zerstreut die Kirche Christi [Cyprian, De catholicae Ecclesiae unitate, 6 (PL 4, 503)]. Und der heilige Johannes Chrysostomus besteht darauf: Trenne dich nicht von der Kirche. Nichts ist stärker als die Kirche. Deine Hoffnung ist die Kirche; dein Heil ist die Kirche, deine Zuflucht ist die Kirche. Sie ist höher als der Himmel und weiter als die Erde; sie altert nie, ihre Kraft währt ewig [Johannes Chrysostomus, Homilia de capto Eutropio, 6].
Wenn wir die Einheit der Kirche verteidigen wollen, müssen wir eng mit Christus vereint leben, der unser Weinstock ist. Wie? Indem wir unsere Treue zum immerwährenden Lehramt der Kirche vertiefen, denn den Nachfolgern Petri wurde der Heilige Geist nicht verheißen, damit sie aufgrund seiner Offenbarung eine neue Lehre verkündigen, sondern damit sie kraft seines Beistandes die durch die Apostel überlieferte Offenbarung beziehungsweise die Glaubenshinterlage heilig bewahren und treu darlegen [I. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution über die Kirche, DS 3070 (1836)]. So werden wir die Einheit bewahren: durch die Ehrfurcht vor dieser unserer fleckenlosen Mutter, durch die Liebe zum Papst.
Manche behaupten, wir seien nur mehr wenige in der Kirche. Ich würde ihnen antworten, daß sehr bald – wenn wir nur alle loyal die Lehre Christi bewahren wollten – diese Zahl beträchtlich anwachsen würde, denn Gott will, daß sein Haus voll werde. In der Kirche entdecken wir Christus, der die Liebe all unserer Lieben ist. Und wir müssen diese Berufung für alle herbeisehnen, allen diese innige Freude wünschen, die unsere Seele trunken macht, die klare Süßigkeit des erbarmungsreichen Herzens Jesu.
Man hört, wir sollten ökumenisch sein. Ich fürchte jedoch, daß hinter einigen selbsternannten ökumenischen Initiativen ein Betrug steckt; handelt es sich doch um Tätigkeiten, die nicht zur Liebe Christi, zum wahren Weinstock führen. Deshalb zeitigen sie keine Frucht. Ich bitte den Herrn jeden Tag darum, Er möge mein Herz weiten, Er möge weiterhin die Liebe in eine übernatürliche verwandeln, die Er meine Seele für alle Menschen empfinden läßt ohne Unterschied der Rasse, des Volkes, der kulturellen Umstände und des Vermögens. Ich schätze alle aufrichtig: Katholiken und Nichtkatholiken, jene, die an etwas glauben, und jene, die nichts glauben und die mich traurig stimmen. Aber Christus hat eine einzige Kirche gegründet, Christus hat eine einzige Braut.
Die Einheit der Christen? Ja. Mehr noch: die Einheit aller, die an Gott glauben. Aber es gibt nur eine wahre Kirche. Man braucht sie nicht aus Bestandteilen, die über die ganze Erde verstreut sind, wiederaufzubauen. Und sie braucht keinerlei Läuterung, um endlich rein zu werden. Die Braut Christi kann keine Ehebrecherin sein, denn sie ist unzerstörbar und lauter. Nur ein Haus kennt und hütet in keuscher Scham die Unverletzbarkeit des einen Ehebettes. Die Kirche bewahrt uns für Gott, sie führt die Kinder, die sie zur Welt gebracht hat, in das Reich. Wer immer sich von der Kirche trennt, verbindet sich mit einer Ehebrecherin, entfernt sich von den Verheißungen der Kirche. Den Lohn Christi wird nicht erlangen können, wer die Kirche Christi verläßt [Cyprian, a.a.O].
Jetzt werden wir besser verstehen, wie die Einheit der Kirche die Heiligkeit mit sich bringt und wie eines der wichtigsten Zeichen ihrer Heiligkeit gerade die im Geheimnis des Einen und Dreifaltigen Gottes wurzelnde Einheit ist: ein Leib und ein Geist, wie auch eure Berufung euch eine Hoffnung gegeben hat. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen [Eph 4,4–6].
Heiligkeit bedeutet, genau genommen, nichts anderes als Verbindung mit Gott: je inniger sie ist, desto mehr Heiligkeit gibt es. Die Kirche ist von Christus gewollt und gestiftet worden, der so den Willen des Vaters erfüllt; die Braut des Sohnes besitzt den Beistand des Heiligen Geistes. Die Kirche ist das Werk der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Sie ist heilig, und sie ist Mutter, unsere heilige Mutter Kirche. Wir können an der Kirche eine zweifache Vollkommenheit bewundern, die wir einerseits die ursprüngliche, andererseits die endzeitliche oder eschatologische Vollkommenheit nennen können. Auf beide nimmt der heilige Paulus in seinem Brief an die Epheser Bezug: Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie durch das Wort in der Wassertaufe zu reinigen und zu heiligen. Auf diese Weise wollte Er sich eine Kirche bereiten, strahlend rein, ohne Flecken und Runzeln oder dergleichen, sondern heilig und makellos [Eph 5,25–27].
Die ursprüngliche und konstitutive Heiligkeit der Kirche kann verhüllt sein – niemals allerdings vernichtet werden, denn sie ist unzerstörbar: die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen [Mt 16,18] –, sie kann vor den Augen der Menschen in Zeiten einer nahezu alles durchdringenden Dunkelheit verborgen bleiben. Aber der heilige Petrus bezeichnet die Christen als gens sancta [1Petr 2,9], als heiliges Volk. Und als Glieder eines heiligen Volkes haben alle Gläubigen die Berufung zur Heiligkeit erhalten und müssen sich daher anstrengen, der Gnade zu entsprechen und persönlich heilig zu sein. Im gesamten Verlauf der Geschichte und auch in unseren Tagen hat es viele, viele Katholiken gegeben, die sich wirklich geheiligt haben: Junge und Alte, Ehelose und Verheiratete, Priester und Laien, Männer und Frauen.
Allerdings hat die persönliche Heiligkeit zahlloser Gläubiger – damals wie heute – nichts Theatralisches an sich. Häufig fallen uns die gewöhnlichen, einfachen, aber heiligen Menschen nicht auf, die mit und neben uns arbeiten und leben. Ein irdischer Blick bleibt eher an der Sünde und an der versagten Treue haften: das sind aufsehenerregendere Dinge.
Gens sancta, ein heiliges Volk, das sich aus Geschöpfen voller Erbärmlichkeiten zusammensetzt. Dieser scheinbare Widerspruch kennzeichnet einen Aspekt des Geheimnisses der Kirche. Die Kirche ist göttlich, sie ist aber zugleich auch menschlich, denn sie besteht aus Menschen, und wir Menschen haben Fehler: omnes homines terra et cinis [Sir 17,31], wir alle sind Staub und Asche.
Unser Herr Jesus Christus, der die Heilige Kirche stiftet, erwartet, daß die Angehörigen dieses Volkes sich ständig bemühen, die Heiligkeit zu erreichen. Nicht alle folgen loyal seinem Ruf. Und an der Braut Christi sieht man einerseits, wie sie auf wunderbare Weise der Heilsweg ist, und man sieht andererseits die Erbärmlichkeit der Menschen, die auf ihm wandeln. Der göttliche Erlöser hat die von Ihm gegründete Gemeinschaft von Menschen als eine in ihrer Art vollkommene Gesellschaft mit allen rechtlichen und gesellschaftlichen Bestandteilen gerade zu dem Zweck gewollt, damit sie dem Heilswerk der Erlösung hier auf Erden dauernden Bestand sichere… Wenn man aber in der Kirche einiges wahrnimmt, was die Schwäche unserer menschlichen Natur verrät, so fällt das nicht ihrer rechtlichen Verfassung zur Last, sondern vielmehr der beklagenswerten Neigung der einzelnen zum Bösen. Diese Schwäche duldet ihr göttlicher Stifter, auch in den höheren Gliedern seines Mystischen Leibes, damit die Tugend der Herde und der Hirten erprobt werde und in allen die Verdienste des christlichen Glaubens wachsen [Pius XII., Enz. Mystici Corporis, 29.6.1943].
Das ist die Wirklichkeit der Kirche – jetzt und hier. Deshalb ist die Heiligkeit der Braut Christi mit der Tatsache vereinbar, daß sich in ihrem Schoß Personen befinden, die Fehler haben. Christus wollte die Sünder aus der von Ihm gegründeten Gemeinschaft nicht ausgeschlossen wissen. Wenn also manche Glieder an geistlichen Gebrechen leiden, so ist das kein Grund, unsere Liebe zur Kirche zu vermindern, sondern vielmehr mit ihren Gliedern größeres Mitleid zu haben [Pius XII., Enz. Mystici Corporis, 29.6.1943].
Wenig Reife würde beweisen, wer angesichts der Fehler und Schwächen eines Menschen, der der Kirche angehört – mag er aufgrund seiner Funktion auch noch so hoch stehen –, spüren würde, daß sein Glaube an die Kirche oder an Christus sich verringert. Die Kirche wird weder von Petrus noch von Johannes noch von Paulus regiert. Sie wird vom Heiligen Geist regiert, und der Herr hat verheißen, daß Er an ihrer Seite bleiben wird alle Tage bis ans Ende der Welt [Mt 28,20].
Hört, was der heilige Thomas weiter über diesen Punkt sagt, wenn er vom Empfang der Sakramente handelt, die Ursache und Zeichen der heiligmachenden Gnade sind: Wer zu den Sakramenten geht, empfängt sie zwar aus den Händen des Dieners der Kirche, aber nicht insofern er diese konkrete Person, sondern insofern er Diener der Kirche ist. Solange die Kirche ihm daher gestattet, sein Amt auszuüben, verbindet sich derjenige, der aus seinen Händen das Sakrament empfängt, nicht mit der Sünde des unwürdigen Dieners, sondern mit der Kirche, deren Diener dieser ja ist. [Thomas von Aquin, S. Th. III. q. 64, a. 6 ad 2] Wenn der Herr also erlaubt, daß die menschliche Gebrechlichkeit zu Tage tritt, muß unsere Reaktion so sein, als wäre unsere Mutter erkrankt oder als wäre sie beleidigt worden: sie mehr lieben, ihr äußerlich und innerlich deutlicher unsere Zuneigung beweisen.
Wenn wir die Kirche lieben, wird sich in uns niemals jene krankhafte Sucht melden, der Mutter für die Erbärmlichkeiten einiger ihrer Söhne die Schuld zuzuschieben. Die Kirche hat als Braut Christi nicht den geringsten Anlaß, irgendein mea culpa anzustimmen. Wir schon: Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! Das ist der echte Meaculpismus, der persönliche nämlich, und nicht jener, der die Kirche angreift, indem er menschliche Mängel aufzeigt und übertreibt, die an dieser heiligen Mutter durch das Handeln der Menschen in ihr hervorgerufen werden, soweit die Menschen dies vermögen, denn sie werden nie zerstören, ja nicht einmal antasten können, was wir die ursprüngliche und konstitutive Heiligkeit der Kirche genannt haben.
Gott, unser Herr, hat die Kirche mit einer Tenne verglichen, in der die Spreu zusammen mit dem Weizen aufgehäuft wird, aus dem man Brot für den Tisch und Brot für den Altar bereitet. Er hat die Kirche mit einem Schleppnetz verglichen, ex omni genere piscium congreganti [Mt 13,47], das, ins Meer geworfen, gute Fische fing und schlechte, die man dann wegwerfen wird.
Das Geheimnis der Heiligkeit der Kirche – dieses Ur–Licht, das unter den Schatten menschlicher Schwachheit verborgen bleiben kann – verbietet grundsätzlich jeden Verdacht, erstickt auch den geringsten Zweifel an der Schönheit unserer Mutter. Es geht ebensowenig an, ohne Protest zu dulden, daß andere sie beleidigen. Suchen wir nicht nach den verwundbaren Stellen an der Kirche, um an ihr Kritik zu üben, wie einige es tun, die den Beweis für ihren Glauben und ihre Liebe schuldig bleiben. Mir ist es unbegreiflich, wie man die eigene Mutter wirklich gern haben und gleichzeitig lieblos von ihr sprechen kann.
Unsere Mutter ist heilig, weil sie rein geboren wurde und makellos bleiben wird in alle Ewigkeit. Wenn wir ihre Schönheit einmal nicht sehen sollten, reinigen wir uns die Augen! Wenn wir merken, daß uns der Klang ihrer Stimme nicht gefällt, dann beseitigen wir die Verhärtung unseres Gehörs, die uns hindert, in ihrem Wort die Rufe des liebevollen Hirten zu vernehmen! Unsere Mutter ist heilig durch die Heiligkeit Christi, mit dem sie sowohl dem Leibe nach, der wir alle sind, verbunden ist, als auch dem Geiste nach, welcher der Heilige Geist ist, der auch im Herzen eines jeden von uns wohnt, wenn wir die Gnade Gottes nicht verlieren.
Heilig, heilig, heilig! wagen wir der Kirche zuzurufen, indem wir an den Hymnus zum Lobpreis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit denken. Du bist heilig, Kirche, meine Mutter, denn der Heilige, der Sohn Gottes, hat dich gestiftet; du bist heilig, denn der Vater, der Quell aller Heiligkeit, hat es so gewollt; du bist heilig, denn der Heilige Geist steht dir bei, der in der Seele der Gläubigen weilt, um die Kinder des Vaters zusammenzuführen, die in der Kirche des Himmels, im ewigen Jerusalem, wohnen werden.
Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Es gibt ja nur einen Gott und nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen: den Menschen Christus Jesus, der sich zum Lösegeld für alle dahingegeben hat und zum Zeugnis zur rechten Zeit [1 Tim 2,4–6]. Jesus Christus setzt eine einzige Kirche ein – seine Kirche. Deshalb gibt es nur eine Braut Christi, und diese ist katholisch: universal, für alle Menschen.
Seit Jahrhunderten schon ist die Kirche über die ganze Welt verbreitet; Personen aller Rassen und aller gesellschaftlichen Umstände gehören ihr an. Die Katholizität der Kirche hängt aber nicht von ihrer geographischen Ausdehnung ab, auch wenn diese ein sichtbares Zeichen dafür ist und ein Motiv der Glaubwürdigkeit darstellt. Die Kirche war schon am Pfingstfest katholisch; sie ist katholisch aus der geöffneten Seite Jesu hervorgegangen – wie ein Feuer, das der Heilige Geist entzündet.
lm zweiten Jahrhundert definierten die Christen die Kirche als katholisch, um sie von den Sekten zu unterscheiden, die zwar den Namen Christi gebrauchten, aber in diesem oder jenem Punkt an seiner Lehre Verrat übten. Wir nennen sie katholisch, schreibt der heilige Cyrill, nicht nur weil sie über den Erdkreis von einem Ende bis zum anderen verbreitet ist, sondern weil sie auf eine universale Weise und fehlerlos alle Dogmen lehrt, die die Menschen kennen müssen vom Sichtbaren und vom Unsichtbaren, vom Himmlischen und vom Irdischen. Auch weil sie alle Arten von Menschen dem wahren Kult unterwirft – Regierende und Bürger, Gelehrte und Ungebildete. Und schließlich weil sie alle Arten von Sünden behandelt und heilt, solche der Seele und solche des Leibes, und weil sie außerdem wie man sie immer auch bezeichnen möchte – alle Formen von Tugend besitzt, in Taten und Worten und in jeglicher Form geistlicher Gaben [Cyrill von Jerusalem, Catechesis 18, 23].
Die Katholizität der Kirche beruht auch nicht darauf, daß Nichtkatholiken sie rühmen und schätzen; ebensowenig hat sie mit der Tatsache zu tun, daß die Meinungen einiger mit kirchlicher Autorität ausgestatteter Personen in nicht geistlichen Dingen von Organen der öffentlichen Meinung, die verwandte Ideen vertreten, aufgegriffen und bisweilen instrumentalisiert werden. Es wird häufig geschehen, daß jener Teil an Wahrheit, der in jeder menschlichen Ideologie verteidigt wird, in der immerwährenden Lehre der Kirche ein Echo oder eine Stütze findet; und dies ist in gewisser Hinsicht ein Zeichen für den göttlichen Ursprung der Offenbarung, die das Lehramt behütet. Aber die Braut Christi ist auch dann katholisch, wenn sie von vielen bewußt ignoriert oder gar – wie es heute leider vielerorts geschieht – geschmäht und verfolgt wird.
Die Kirche ist keine politische Partei, auch keine Gesellschaftsideologie und ebensowenig eine Weltorganisation für die Eintracht oder den materiellen Fortschritt – bei aller Anerkennung für die Ehrlichkeit dieser oder ähnlicher Unternehmungen. Die Kirche hat immer eine riesige Arbeit zum Wohl der Bedürftigen, der Leidenden, ja all jener geleistet, die irgendwie an den Folgen des einzigen wirklichen Übels zu tragen haben, nämlich der Sünde, und sie leistet sie noch weiter. Und allen – den in irgendeiner Form Notleidenden und jenen, die glauben, die Fülle der irdischen Güter zu genießen – ruft die Kirche immer wieder eine einzige, entscheidende Sache ins Gedächtnis: daß unsere Bestimmung eine ewige und übernatürliche ist, daß wir nur in Jesus Christus das Heil für immer finden und daß wir nur in Ihm auch in diesem Leben schon irgendwie den wahren Frieden und das wahre Glück erlangen können.
Betet jetzt mit mir gemeinsam zu Gott, unserem Herrn, daß wir Katholiken niemals diese Wahrheiten vergessen und daß wir uns entschließen, sie in die Tat umzusetzen. Die katholische Kirche bedarf nicht der Gutheißung der Menschen, denn sie ist Gottes Werk.
Als Katholiken werden wir uns erweisen, wenn wir Früchte der Heiligkeit hervorbringen, denn die Heiligkeit erlaubt keine Grenzziehungen und ist nicht Eigenrecht dieses oder jenes menschlichen Partikularismus. Als Katholiken werden wir uns erweisen, wenn wir beten, wenn wir versuchen, uns unentwegt an den Herrn zu wenden, wenn wir uns immer und in allen Dingen bemühen, gerecht zu sein – im weitesten Sinne des Begriffes Gerechtigkeit, dem heutzutage nicht selten eine materialistische, irrige Prägung gegeben wird –, wenn wir die persönliche Freiheit der übrigen Menschen lieben und verteidigen.
Ich erinnere euch noch an ein weiteres deutliches Kennzeichen der Katholizität der Kirche: die treue Bewahrung und Spendung der Sakramente, so wie sie von Christus eingesetzt wurden – ohne menschliche Verdrehungen und ungebührliche Versuche, sie psychologisch oder soziologisch umzufunktionieren. Denn niemand kann über etwas verfügen, das der Gewalt eines anderen unterliegt, sondern nur über Dinge, die seiner eigenen Gewalt unterstehen. Da nun die Heiligung des Menschen der Gewalt des heiligenden Gottes anheimgegeben ist, hat der Mensch nicht die Befugnis, nach seinem eigenen Gutdünken festzusetzen, was ihn zu heiligen habe; dies ist vielmehr durch göttliche Einsetzung zu bestimmen [Thomas von Aquin, S. Th. III, q. 60, a 5]. Gewisse Versuche, das universale Wesen der Sakramente zu schmälern, wären vielleicht zu rechtfertigen, wenn es dabei um bloße Zeichen ginge – um Symbole, die nach den natürlichen Gesetzen des Verstehens und Begreifens wirksam sind. Aber die Sakramente des Neuen Gesetzes sind gleichzeitig Ursachen und Zeichen. Deshalb wird allgemein gelehrt, daß sie bewirken, was sie bezeichnen. Aus diesem Grund entsprechen sie vollkommen dem Sakramentsbegriff, da sie nämlich auf Heiliges hingeordnet sind, und zwar nicht nur als Zeichen, sondern auch als Ursachen desselben [Thomas von Aquin, S. Th. III, q. 62, a. 1 ad 1].
Diese katholische Kirche ist römisch. Wie koste ich dieses Wort aus: römisch! Ich fühle mich römisch, denn römisch bedeutet universal, katholisch; es führt mich zu einer innigen Liebe zum Papst, il dolce Cristo in terra, wie ihn die heilige Katharina von Siena, die mir eine überaus liebe Freundin ist, so gerne genannt hat.
Von diesem katholischen römischen Zentrum aus, unterstrich Paul VI. bei seiner Schlußansprache am II. Vatikanischen Konzil, ist eigentlich niemand unerreichbar. Alle können und sollen erreicht werden. Für die katholische Kirche ist niemand ein Fremdling, niemand ein Ausgeschlossener, niemand wird als ihr fernstehend betrachtet [Sacrosanctum Oecumenicum Concilium Vaticanum II, Constitutiones, Decreta, Declarationes, Vatikan 1966, S 1079]. Ich verehre mit allen meinen Kräften das Rom des Petrus und des Paulus, das getränkt ist vom Blut der Märtyrer, den Mittelpunkt, von dem so viele hinausgezogen sind in die ganze Welt, um die Heilsbotschaft Christi zu verkünden. Römisch sein bedeutet in keiner Weise Abkapselung, sondern rechte Ökumene; es beinhaltet den Wunsch, das Herz weit zu machen, es allen Menschen mit dem Erlöserverlangen Christi zu öffnen, der alle sucht und alle aufnimmt, weil Er alle zuerst geliebt hat.
Der heilige Ambrosius hat ein paar kurze Worte geschrieben, die wie ein Jubelgesang klingen: Wo Petrus ist, dort ist die Kirche; und wo die Kirche ist, da herrscht nicht der Tod, sondern das ewige Leben [Ambrosius, In XlI Ps. Enarratio, 40, 30]. Denn dort, wo Petrus und die Kirche sind, dort ist Christus – und Er ist das Heil, der einzige Weg.
Unser Herr gründet die Kirche auf die Schwäche – aber auch auf die Treue einiger Männer, der Apostel, und Er verspricht ihnen den beständigen Beistand des Heiligen Geistes. Lesen wir einmal mehr den bekannten Text, der immer neu und aktuell ist: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Geht also hin und lehrt alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt [Mt 28,18–20].
Die Predigt des Evangeliums in Palästina ist nicht Ergebnis der persönlichen Initiative einiger Schwärmer. Was konnten die Apostel tun? Zu ihrer Zeit galten sie nichts. Sie waren weder reich noch gebildet, noch waren sie Helden im menschlichen Sinn. Jesus legt auf die Schultern dieser kleinen Schar von Männern eine riesige, göttliche Aufgabe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestellt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt. Dann wird der Vater euch alles geben, um was ihr Ihn in meinem Namen bittet [Joh 15,16].
Während zweitausend Jahren Geschichte besteht in der Kirche die apostolische Sukzession. Die Bischöfe, erklärt das Konzil von Trient, haben die Stelle der Apostel eingenommen und sind, wie der Apostel (Paulus) selbst sagt, vom Heiligen Geist eingesetzt, um die Kirche zu leiten (Apg 20,28) [Konzil von Trient, Lehre vom Bußsakrament, DS 1768 (960)]. Und einen der Apostel – den Simon – hat Christus auf besondere Weise auserwählt: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen [Mt 16,18]. Ich habe für dich gebetet, fügt er später noch hinzu, daß dein Glaube nicht wanke; und du, wenn du dich bekehrt hast, stärke deine Brüder [Lk 22,32].
Petrus begibt sich nach Rom und begründet dort den Primatialsitz des Stellvertreters Jesu Christi. Deshalb erkennt man in Rom am besten die apostolische Sukzession, und deshalb ist Rom der Apostelsitz schlechthin. Das II. Vatikanische Konzil hat mit Worten einer früheren Kirchenversammlung – der von Florenz – erklärt, daß von allen Christen zu glauben ist, daß der heilige Apostolische Stuhl und der Römische Bischof den Primat über die ganze Welt innehaben und daß eben dieser Römische Bischof der Nachfolger des heiligen Apostelfürsten Petrus ist, daß er der wahre Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche und der Vater und Lehrer aller Christen ist, daß ihm im heiligen Petrus von unserem Herrn Jesus Christus die Vollgewalt übertragen ist, die Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten [I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, DS 3059 (1826)].
Die Obergewalt des Papstes und seine Unfehlbarkeit, wenn er ex cathedra spricht, sind nicht menschliche Erfindung, sondern ergeben sich aus dem ausdrücklichen Stiftungswillen Christi. Wie wenig sinnvoll ist es aber dann, zwischen der Regierung des Papstes und jener der Bischöfe einen Gegensatz zu konstruieren oder die Gültigkeit der päpstlichen Lehrentscheide von der Zustimmung der Gläubigen abhängig zu machen! Nichts paßt da weniger als ein Mächtegleichgewicht. Die menschlichen Denkformen sind hier unbrauchbar, so attraktiv und funktionell sie auch sein mögen. Niemand besitzt in der Kirche aus sich selbst, als Mensch, absolute Gewalt; in der Kirche gibt es kein anderes Oberhaupt als Christus; und Christus hat für seine pilgernde Braut einen Stellvertreter einsetzen wollen – der Papst.
Die Kirche ist apostolisch aufgrund ihrer Verfassung. So kommt es, daß jene Kirche, die wirklich die katholische ist und heißt, zugleich die Vorrechte der Einheit, der Heiligkeit und der apostolischen Nachfolge deutlich aufweisen muß. Die katholische Kirche zeigt also eine offensichtliche und vollkommene Einheit auf der ganzen Erde und unter allen Völkern; jene Einheit, deren Grund, Wurzel und unbesiegbarer Ursprung die höchste Autorität und der höchste Vorrang des heiligen Apostelfürsten Petrus und seiner Nachfolger auf dem römischen Stuhle ist. Es gibt keine andere katholische Kirche als jene, die, auf den einen Petrus auferbaut, in der Einheit des Glaubens und der Liebe heranwächst zum einen zusammengefügten und zusammengehaltenen Leib [Pius IX., a.a.O].
Wir werden dazu beitragen, die Apostolizität in den Augen aller deutlicher sichtbar zu machen, wenn wir unsere Einheit mit dem Papst, die ja Einheit mit Petrus ist, mit ausgesuchter Treue unter Beweis stellen. Die Liebe zum Heiligen Vater muß eine herrliche Leidenschaft in uns sein, denn in ihm sehen wir Christus. Wenn wir mit dem Herrn im Gebet verkehren, werden wir einen klaren Blick bekommen, der uns auch hinter Ereignissen, die wir vielleicht manchmal nicht verstehen oder die uns Kummer bereiten und die Tränen in die Augen treiben, das Wirken des Heiligen Geistes erkennen läßt.
Die Kirche heiligt uns, nachdem wir durch die Taufe in ihren Schoß eingetreten sind. Kaum haben wir das Licht der Welt erblickt, gelangen wir schon in den Genuß der heiligenden Gnade. Der Glaube eines einzelnen, mehr noch, der Glaube der ganzen Kirche, kommt dem Kind zugute durch das Wirken des Heiligen Geistes, welcher die Kirche eint und die Güter des einen dem anderen zukommen läßt [Thomas von Aquin, S. Th., q. 68, a. 9 ad 2]. Wie großartig ist diese übernatürliche Mutterschaft der Kirche, die ihr der Heilige Geist schenkt! Die geistliche Wiedergeburt, die durch die Taufe bewirkt wird, ist in gewisser Hinsicht dem natürlichen Zur–Welt–Kommen ähnlich. So wie die Kinder, die noch im Schoß ihrer Mutter sind, sich nicht durch sich selbst ernähren, sondern von der Mutter die Nahrung empfangen, so erhalten auch die Kleinen, die keinen Vernunftgebrauch haben und sich wie Kinder im Schoß ihrer Mutter, der Kirche, befinden, durch das Wirken der Kirche und nicht durch sich selbst das Heil [Ebd., ad 1].
So springt in ihrer ganzen Größe die priesterliche Gewalt der Kirche ins Auge, die direkt von Christus kommt. Christus ist die Quelle allen Priestertums. Der Priester des Gesetzes war sein Sinnbild; der Priester des Neuen Gesetzes hingegen handelt in der Person Christi, gemäß den Worten von 2 Kor 2,10: Denn was ich verzeihe, verzeihe ich, wenn ich überhaupt etwas verzeihe, aus Liebe zu euch in der Person Christi [Ebd., q 22. a 4].
Die erlösende Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen setzt sich in der Kirche durch das Sakrament der Priesterweihe fort, das durch sein Prägemal und die entsprechende Gnade dazu befähigt, als Diener Jesu Christi zum Wohl aller Seelen zu handeln. Wenn einer etwas tun kann, was dem anderen nicht möglich ist, so kommt das nicht aus der verschiedenen Gutheit oder Schlechtigkeit, sondern aus der erhaltenen Vollmacht, die der eine besitzt und der andere nicht. Da nun der Laie nicht die Konsekrationsgewalt erhält, kann er die Wandlung nicht vollziehen, auch wenn seine persönliche Gutheit noch so groß sein sollte [Ders., In IV Sent., d. 13, q. 1, a. 1].
In der Kirche gibt es verschiedene Dienste, aber nur ein einziges Ziel: die Heiligung der Menschen. Und an diesem Werk haben auf irgendeine Weise kraft des in Taufe und Firmung empfangenen Prägemales alle Christen teil. Alle müssen wir uns für diese Sendung der Kirche verantwortlich fühlen, die ja die Sendung Christi ist. Wer kein Verlangen nach der Rettung der Seelen verspürt, wer sich nicht mit aller Kraft dafür einsetzt, daß der Name und die Lehre Christi bekannt und geliebt werden, der wird die Apostolizität der Kirche nicht verstehen.
Ein passiver Christ hat noch nicht begriffen, was Christus von uns allen erwartet. Ein Christ, der nur um seine eigenen Angelegenheiten besorgt ist und dem am Heil der anderen wenig liegt, liebt nicht mit dem Herzen Jesu. Das Apostolat ist nicht ausschließliche Aufgabe der Hierarchie oder der Priester und Ordensleute. Uns alle fordert der Herr auf, durch unser Beispiel und unser Wort zu Mittlern jenes Gnadenstroms zu werden, der ins ewige Leben fließt.
Beim Lesen der Apostelgeschichte rührt uns immer die Kühnheit der Jünger Christi, das Vertrauen auf ihre Sendung und ihre aufopfernde Freude. Sie verlangen keinen Massenandrang. Und selbst wenn die Massen kommen, wenden sie sich an jede einzelne Seele, an jeden Menschen, Mann für Mann: Philippus an den Äthiopier [Vgl. Apg 8,26–40], Petrus an den Hauptmann Cornelius [Vgl. Apg 10,1–48], Paulus an Sergius Paulus [Vgl. Apg 13,6–12].
Sie haben von ihrem Meister gelernt. Erinnert euch an das Gleichnis von den Arbeitern, die auf dem Dorfplatz auf eine Beschäftigung warten. Als der Herr des Weinberges, nachdem der Tag schon fortgeschritten ist, wieder hinausgeht, stößt er nochmals auf Taglöhner, die faul herumstehen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Weil uns niemand gedungen hat [Mt 20,6–7], war ihre Antwort. Im Leben eines Christen darf das nicht geschehen. Es darf nicht sein, daß jemand aus unserer Umgebung behaupten kann, er habe nichts von Christus gehört, weil niemand zu ihm vom Herrn gesprochen hat.
Häufig denken die Menschen, daß sie auf Gott einfach verzichten können. Sie täuschen sich. Auch wenn sie es nicht wissen, liegen sie da wie der Gelähmte am Teich von Betesda – unfähig, an die heilenden Wasser heranzukommen, an die Lehre, die die Seele mit Freude erfüllt. Schuld daran tragen vielfach die Christen. Diese Leute könnten gleichfalls sagen: hominem non habeo [Joh 5,7], ich habe keinen einzigen Menschen, der mir helfen würde. Jeder Christ muß Apostel sein, denn Gott, der niemanden braucht, braucht uns trotzdem. Er rechnet damit, daß wir uns der Ausbreitung seiner heilbringenden Lehre widmen.
Wir betrachten das Geheimnis der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Es ist Zeit, daß wir uns fragen: Teile ich mit Christus seinen Eifer für die Seelen? Bete ich für diese Kirche, der ich angehöre und in der mir eine besondere Aufgabe zukommt, die niemand an meiner Statt erfüllen kann? In der Kirche sein ist schon viel, aber es ist nicht genug. Wir müssen selbst Kirche sein, denn unsere Mutter darf uns niemals etwas Fremdes, Äußerliches, unseren tiefsten Gedanken Fernes sein.
Hier beenden wir unsere Überlegungen über die Wesensmerkmale der Kirche. Mit der Hilfe des Herrn werden sie sich unserer Seele eingeprägt haben, und wir werden in uns eine klare, sichere, göttliche Überzeugung befestigen, um dann diese unsere heilige Mutter, die uns zum Leben der Gnade geboren hat und uns Tag für Tag mit unermüdlicher Sorgfalt umhegt, mehr zu lieben.
Sollten euch zufällig Beleidigungen zu Ohren kommen, die der Kirche zugerufen werden, dann zeigt solchen lieblosen Leuten freundlich und einfühlsam, daß man eine Mutter nicht auf diese Weise behandeln kann. Heute greift man sie straflos an, weil ihr Reich – das Reich ihres Meisters und Stifters – nicht von dieser Welt ist. Solange der Weizen unter der Spreu seufzt, solange die Ähren unter dem Unkraut stöhnen, solange die Gefäße der Barmherzigkeit neben den Gefäßen des Zornes klagen, solange die Lilie unter den Dornen weint, wird es nicht an Feinden fehlen, die sagen: Wann wird sein Name sterben und zugrunde gehen? Das heißt: Seht, es wird eine Zeit kommen, in der die Christen verschwinden und nicht mehr sein werden… Aber die das sagen, sterben unweigerlich. Und die Kirche bleibt [Augustinus, Enarrationes in Psalmos, 70, II, 12].
Was immer auch geschieht – Christus wird seine Braut nicht verlassen. Die triumphierende Kirche ist schon bei Ihm, zur Rechten des Vaters. Und von dort aus rufen uns unsere christlichen Brüder, die Gott für jene Wirklichkeit preisen, die wir vorerst noch im klaren Halbdunkel des Glaubens sehen: die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.
Vor einigen Tagen hielt ich während der heiligen Messe einen Augenblick inne, um die Worte eines Psalms aus der Kommunionantiphon der Tagesliturgie zu betrachten: Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen [Ps 22,1; Kommuniongebet aus der Messe vom Samstag nach dem vierten Fastensonntag]. Dieser Ruf erinnerte mich an ein anderes Psalmwort, das früher beim Erteilen der ersten Tonsur gebetet wurde: Der Herr ist der Teil meiner Erbschaft [Ps 15,5]. Christus liefert sich selbst den Händen der Priester aus, die so zu Sachwaltern der Geheimnisse – der Großtaten – des Herrn werden.
In diesem Sommer werden etwa fünfzig Mitglieder des Opus Dei die Priesterweihe empfangen. Seit 1944 wiederholt sich alljährlich dieses Geschehen als eine Tat der Gnade im Dienst an der Kirche. Einige Mitglieder des Opus Dei, wenige, werden zu Priestern geweiht. Das gibt immer wieder Anlaß zu der verwunderten Frage, wie es möglich sei, daß dreißig, vierzig, fünfzig Menschen die Leistungen und Aussichten ihres bisherigen Lebens hinter sich lassen, um Priester zu werden. Laßt mich heute einiges dazu sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Ratlosigkeit der so Fragenden noch wächst.
Diese Mitglieder des Opus Dei, die das heilige Sakrament der Priesterweihe empfangen werden, besitzen eine volle Erfahrung – manchmal durch eine jahrelange berufliche Tätigkeit – als Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Architekten und in vielen anderen Berufen; die sie befähigen, in der Gesellschaft mehr oder weniger einflußreiche Aufgaben zu übernehmen.
Sie lassen sich weihen, um zu dienen: nicht um zu befehlen, nicht um zu glänzen, sondern um sich einem stillen Dienst aus Gott an allen Menschen für immer hinzugeben. Nach ihrer Weihe werden sie nicht der Versuchung erliegen, die Tätigkeit und die berufliche Arbeit der Laien nachzuahmen – obgleich es sich dabei um etwas handelt, das ihnen sehr vertraut ist, denn sie haben bis dahin so gelebt und sich damit eine laikale Mentalität erworben, die nie mehr verlorengeht.
Zwar ist die fachliche Kompetenz im jeweiligen Wissenszweig, sei es nun die Geschichte, die Naturwissenschaften, die Psychologie, die Rechtswissenschaft oder die Soziologie, ein wesentliches Element ihrer laikalen Mentalität, sie wird sie jedoch nicht dazu verleiten, sich als Psychologen–Priester, Biologen–Priester oder Soziologen–Priester zu betrachten: sie haben das Sakrament der Priesterweihe empfangen, weil sie »Priester–Priester« sein wollen: nicht mehr und nicht weniger, voll und ganz Priester.
Möglicherweise kennen sie sich auf diesen Gebieten besser aus als viele Laien. Aber sobald sie Priester geworden sind, verweisen sie mit Freude ihren bürgerlichen Beruf ganz in den Hintergrund und sprechen fortan, durch ständiges Gebet gestärkt, nur noch von Gott, predigen das Evangelium und spenden die Sakramente. Das ist, wenn man es so sagen darf, ihre neue berufliche Arbeit, der sie von morgens bis abends nachgehen. Dabei wird es ihnen immer noch an Zeit fehlen, denn man muß ständig die Theologie studieren, viele Menschen geistlich betreuen, Beichte hören, unermüdlich predigen und viel, sehr viel beten: mit dem Herzen beim Tabernakel, dort, wo Jener wirklich gegenwärtig ist, der uns als die Seinen auserwählt hat, zu einer Hingabe voller Freude, trotz der Schwierigkeiten, die keinem Menschen erspart bleiben.
All dies kann, wie gesagt, die Überraschung noch steigern. Manche werden vielleicht fragen: Warum der Verzicht auf so viele gute und schöne Dinge, auf einen vielleicht glanzvollen Beruf, auf ein christliches, beispielhaftes Wirken in der Gesellschaft, im kulturellen Bereich, in der Hochschule, in der Wirtschaft und in vielen anderen Tätigkeiten?
Andere werden darauf aufmerksam machen, wieviel Unsicherheit sich hinsichtlich des Priesterbildes heute breitmacht. Man redet von der Suche nach seiner Identität und stellt angesichts der gegenwärtigen Situation die Bedeutung der priesterlichen Hingabe an Gott in Frage. Schließlich mag es überraschen, daß gerade in einer Zeit mangelnder Priesterberufungen Menschen, die sich beruflich bewährt, die Arbeit und Stellung gesichert hatten, diesen Weg gehen.
Ich begreife diese Überraschung, aber es wäre unaufrichtig, zu sagen, daß ich sie teile. Diese Menschen, die sich in Freiheit, weil sie es wollen – ein sehr übernatürlicher Grund –, für das Priestertum entscheiden, wissen, daß dies kein Verzicht im üblichen Sinne des Wortes ist. Schon vorher haben sie der Kirche und allen Menschen gedient durch ihre Berufung zum Opus Dei: eine volle, gottgegebene Berufung, die sie dazu führte, die gewöhnliche Arbeit zu heiligen, sich selbst in der Arbeit zu heiligen und andere durch die Arbeit zu heiligen. Wie für alle Christen, gelten auch für die Mitglieder des Opus Dei – ganz gleich, ob Priester oder Laien, denn sie alle sind gewöhnliche Christen – jene Worte des heiligen Petrus: Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk. Ihr sollt die herrlichen Taten dessen verkünden, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat. Einst wart ihr ein Nichtvolk, jetzt seid ihr Gottes Volk. Einst Nichtbegnadete, seid ihr jetzt Begnadete [1Petr 2,9–10].
Als gläubige Christen haben alle, Priester wie Laien, dieselbe Verfaßtheit, denn Gott, unser Herr, hat uns alle zur Fülle der Liebe, zur Heiligkeit berufen: Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! Er hat uns in Christus mit allem geistlichen Segen im Himmel gesegnet. In ihm hat er uns schon vor Erschaffung der Welt auserwählt, daß wir heilig und untadelig vor ihm seien [Eph 1,3–4].
Es gibt keine Heiligkeit zweiter Klasse: entweder kämpfen wir unablässig, um in der Gnade Gottes zu leben und um Christus, unserem Vorbild, gleich zu werden, oder wir sind Fahnenflüchtige in diesem göttlichen Kampf. Jeden lädt der Herr ein, sich in seinem eigenen Stand zu heiligen. Dieses leidenschaftliche Ringen um die Heiligkeit, bei allen persönlichen Fehlern und Erbärmlichkeiten, kennt im Opus Dei keine Unterschiede zwischen Priestern und Laien, zumal die Priester nur einen kleinen Bruchteil der Mitglieder insgesamt ausmachen. Mit den Augen des Glaubens gesehen, hat Priesterwerden also im Grunde nichts mit Verzicht zu tun; ebensowenig bedeutet es die Krönung der Berufung zum Opus Dei, denn die Heiligkeit hängt nicht vom Stand ab – ob Lediger, Verheirateter Verwitweter oder Priester –, sondern vom persönlichen Ja zur Gnade, die uns allen zuteil wird, damit wir lernen, die Werke der Finsternis abzulegen und die Waffenrüstung des Lichtes anzuziehen: Heiterkeit, Frieden, selbstlosen und freudigen Dienst an allen Menschen [Vgl. Röm 13,12].
Das Priestertum führt dazu, Gott in einem Stand zu dienen, der in sich weder besser noch schlechter ist als ein anderer: er ist einfach verschieden. Doch die Berufung des Priesters besitzt eine Würde und Erhabenheit, die nichts auf Erden überbieten kann. Die heilige Katharina von Siena legt Christus folgende Worte in den Mund: Ich will nicht, daß man den Priestern die schuldige Ehrerbietung vorenthält, denn die Ehrerbietung und die Achtung, die man ihnen bezeugt, ist nicht für sie bestimmt, sondern für Mich, kraft des Blutes, das ich ihrer Verwaltung anvertraut habe. Wenn nicht darin der Grund bestünde, so hätte man ihnen dieselbe Ehrerbietung zu bezeugen wie den Laien, und nicht mehr… Man darf sie nicht beleidigen, sonst werde ich beleidigt und nicht sie. Deshalb habe ich es verboten, und deshalb habe ich angeordnet, nicht zuzulassen, daß man meine Gesalbten anrührt [Katharina von Siena, Das Gespräch, Kap. 116; vgl. Ps 104,15].
Manche ereifern sich in der Suche nach der Identität des Priesters, wie sie es nennen. Wie klar sind die Worte der heiligen Katharina! Was ist die Identität des Priesters? Die Identität mit Christus. Nicht nur alter Christus, sondern ipse Christus können und sollen alle Christen sein: ein anderer Christus, Christus selbst. Doch im Priester geschieht dies unmittelbar, auf sakramentale Weise.
Um dieses große Werk – der Erlösung – zu verwirklichen, ist Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen. Gegenwärtig ist er im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht – denn »derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selber dargebracht hat« – wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten [II. Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 7; vgl. Konzil von Trient, Die Lehre über das Meßopfer, Kap. 2].
Durch die Priesterweihe erhält der Priester wirklich die Fähigkeit, dem Herrn Hände, Stimme, sein ganzes Sein zu leihen: Jesus Christus selbst verwandelt in der heiligen Messe durch die Worte der Konsekration Brot und Wein in seinen Leib und seine Seele, sein Blut und seine Gottheit.
Darin gründet die unvergleichliche Würde des Priesters: in einer geliehenen Erhabenheit, die vereinbar ist mit meiner eigenen Niedrigkeit. Ich bitte Gott, den Herrn, er möge uns allen, die wir Priester sind, die Gnade schenken, heiligmäßig das Heilige zu tun, die Gnade, auch in unserem Leben die Wundertaten seiner Größe widerzuspiegeln. Die, die wir die heiligen Geheimnisse des Leidens des Herrn feiern, haben dem nachzueifern, was wir vollziehen. Dann wird die Hostie unseren Platz vor Gott einnehmen, wenn wir selbst zur Opfergabe werden [Gregor der Große, Dialog, 4, 59].
Solltet ihr einmal einem Priester begegnen, der, seinem Verhalten nach zu urteilen, nicht nach dem Evangelium zu leben scheint – richtet ihn nicht, überlaßt das Gott –, dann bedenkt, daß, wenn er nur die heilige Messe gültig, mit dem Willen zu konsekrieren, feiert, Gott in jene Hände, mögen sie auch noch so unwürdig sein, herabsteigt. Kann man sich eine größere Hingabe vorstellen, eine noch tiefere Erniedrigung? Es ist mehr noch als schon in Bethlehem, mehr noch als auf Golgotha. Und warum? Weil ein erlösendes Verlangen das Herz Jesu Christi verzehrt, weil er nicht will, daß jemand sagen kann, er habe ihn nicht gerufen, und weil er auch jenen entgegenkommen will, die ihn nicht suchen.
Liebe: das ist die einzige Erklärung. Wie unzulänglich erscheint uns die Sprache, wenn wir von der Liebe Christi sprechen wollen! Er erniedrigt sich zu allem, erträgt alles, unterwirft sich allem – dem Frevel, Gotteslästerungen, der kalten Gleichgültigkeit so vieler Menschen –, wenn er dafür nur einem Menschen – auch wenn es tatsächlich nur ein einziger wäre – die Möglichkeit bieten kann, ihn für das Schlagen des göttlichen Herzens in seiner durchstoßenen Brust empfänglich zu machen.
Das ist die Identität des Priesters: Er ist jeden Tag unmittelbar Werkzeug der erlösenden Gnade, die Christus uns verdient hat. Wenn man dies begreift, wenn man es im liebenden, aufmerksamen Schweigen des Gebetes betrachtet hat, wie kann man dann noch das Priestertum als einen Verzicht ansehen? Es ist ein Gewinn, ohne Maßen. Maria, unsere heilige Mutter, die heiligste unter allen Geschöpfen – größer als sie ist nur Gott – hat Jesus einmal in die Welt gebracht; die Priester bringen ihn uns jeden Tag auf die Erde, machen ihn unserem Leib und unserer Seele zugänglich: Christus kommt, um uns Nahrung zu sein, um uns das Leben hier zu geben und um schon jetzt Unterpfand zu sein für das künftige Leben.
Weder als Mensch noch als gläubiger Christ ist der Priester mehr als der Laie. Eine tiefe Demut ist bei ihm also recht angebracht, damit er begreift, daß auch auf ihn, ja ganz besonders auf ihn, die Worte des heiligen Paulus voll zutreffen: Was hast du, das du nicht empfangen hättest? [1 Kor 4,7] Das Empfangene… das ist Gott selbst! Es ist die Vollmacht, die heilige Eucharistie, die heilige Messe – Hauptzweck der Priesterweihe – zu feiern, die Vollmacht, Sünden zu vergeben, die übrigen Sakramente zu spenden, das Wort Gottes mit Autorität zu predigen und die anderen Gläubigen in dem, was sich auf das Himmelreich bezieht, anzuleiten.
Darum setzt das Priestertum – der Amtspriester – zwar die christlichen Grundsakramente voraus, wird aber durch ein eigenes Sakrament übertragen. Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so daß sie in der Person des Hauptes Christus handeln können [II. Vatikanisches Konzil, Dekr. Presbyterorum Ordinis, 2].
Diese Verfassung der Kirche entspricht nicht menschlichem Gutdünken, sondern dem ausdrücklichen Willen Christi, ihres Stifters. Das Opfer und das Priesteramt sind durch göttliche Anordnung so eng miteinander verbunden, daß sie unter dem Gesetz, im Alten wie im Neuen Bund, zusammen bestanden haben. Nachdem die heilige katholische Kirche durch Einsetzung des Herrn im Neuen Bund das sichtbare Opfer der Eucharistie erhalten hat, muß sie daher auch bekennen, daß es in ihr ein neues, nach außen sichtbares Priestertum gibt, in welche das alte überführt wurde [Konzil von Trient, Die Lehre über die Priesterweihe, Kap.1 [Denzinger–Schön. 1764 (957)]].
Bei den Geweihten kommt dieses Amtspriestertum zu dem allen Gläubigen gemeinsamen Priestertum hinzu. Es wäre ein Irrtum zu meinen, ein Priester sei in höherem Maße ein gläubiger Christ als jeder andere Gläubige, aber man kann doch sagen, daß er in höherem Maß Priester ist: wie alle Christen gehört er dem von Christus erlösten priesterlichen Volk an, aber außerdem erhält er durch das Amtspriestertum, das sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach [II. Vatikanisches Konzil, Dog. Konst. Lumen Gentium, 10] vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen unterscheidet, ein besonderes Prägemal.
Ich verstehe nicht den Eifer einiger Priester, unter den anderen Christen aufgehen zu wollen und ihre besondere Aufgabe in der Kirche, jene Aufgabe, wozu sie geweiht wurden, beiseite zu schieben oder hintanzusetzen. Sie lassen sich von dem Gedanken leiten, die Christen möchten im Priester einen Menschen wie jeden anderen sehen. Doch das stimmt nicht. Sie suchen im Priester die Tugenden, die jeden Christen, ja, jeden guten Menschen kennzeichnen müssen: Verständnis, Gerechtigkeitssinn, Arbeitsamkeit – die im Falle des Priesters spezifisch priesterliche Arbeit bedeutet –, Nächstenliebe, Anstand, Höflichkeit. Aber außerdem erwarten die Gläubigen, daß der priesterliche Charakter deutlich hervortritt: daß der Priester betet, daß er sich nicht weigert, die Sakramente zu spenden, daß er bereit ist, sich aller anzunehmen und sich nicht dazu verführen läßt, leitender oder militanter Verfechter irgendwelcher menschlicher Parteiinteressen zu sein [Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekr. Presbyterorum Ordinis, 6] sie erwarten vom Priester, daß er in Liebe und Andacht die heilige Messe feiert, Beichte hört, Kranke und Bedrängte tröstet, Bedürftigen mit seinem Rat und seiner Liebe beisteht, Kinder und Erwachsene im Glauben unterweist, das Wort Gottes predigt; nicht aber, daß er einer profanen Wissenschaft nachgeht, die – mag er sie auch noch so gut beherrschen – nicht die Wissenschaft vom Heil und vom ewigen Leben ist. Mit einem Wort: man erwartet vom Priester, daß er die Gegenwart Christi in sich selbst nicht stört, besonders, wenn er das heilige Opfer des Leibes und Blutes Jesu Christi vollzieht und im Sakrament der Buße – in der Ohrenbeichte – im Namen Gottes die Sünden vergibt. Das Spenden dieser beiden Sakramente nimmt unter den Aufgaben des Priesters einen so wichtigen Platz ein, daß alles andere um sie kreisen muß. Andere priesterliche Aufgaben, wie Predigt und Glaubensunterweisung, würden ihren festen Bezugspunkt verlieren, wenn sie auf etwas anderes zielten als auf die Begegnung mit Christus in dem von der Liebe getragenen Gericht der Buße und bei der unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers in der heiligen Messe.
Bleiben wir noch bei diesem Thema des heiligen Opfers: wenn es für uns alle Mitte und Wurzel des christlichen Lebens ist, wieviel mehr muß es das im Leben des Priesters sein. Ein Priester, der aus eigener Schuld die heilige Messe nicht jeden Tag feiern würde [II. Vatikanisches Konzil, Dekr. Presbyterorum Ordinis, 13], würde dadurch beweisen, daß er Gott wenig liebt: es wäre, wie wenn er Christus ins Gesicht sagt, daß er dessen Erlösungsdrang nicht teilt und dessen Ungeduld, sich wehrlos den Menschen als Nahrung für die Seele auszuliefern, nicht versteht.
Es ist gut, immer wieder daran zu erinnern, daß jeder Priester – sei er nun ein Sünder, wie wir, oder vielleicht ein großer Heiliger – beim Feiern der heiligen Messe nicht er selbst ist: er ist Christus, der am Altar sein göttliches Kreuzesopfer erneuert. Im Mysterium des eucharistischen Opfers, dessen Darbringung die vornehmliche Aufgabe des Priesters ist, wird beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen; darum wird seine tägliche Feier dringend empfohlen; sie ist auch dann, wenn keine Gläubigen dabei sein können, ein Akt Christi und der Kirche [Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekr. Presbyterorum Ordinis, 13].
Das Trienter Konzil lehrt, daß eben derselbe Christus, der nur einmal sich selber in blutiger Weise auf dem Altar des Kreuzes opferte, in der Messe gegenwärtig wird, enthalten ist und auf unblutige Weise geopfert wird… Das Opfer ist in der Tat ein und dasselbe; und derjenige, der jetzt dargebracht wird durch das Amt der Priester, ist derselbe, der sich damals am Kreuz darbrachte, nur die Weise des Opfers hat sich geändert [Konzil von Trient, Die Lehre über das hl. Meßopfer [Denzinger–Schön. 1743 (940)]].
Die An– oder Abwesenheit der Gläubigen bei der heiligen Messe ändert an dieser Glaubenswahrheit nichts. Wenn ich in Gegenwart des Volkes die heilige Messe feiere, stimmt mich das sehr froh, ohne daß ich mich dabei als Leiter einer Versammlung fühle. Ich bin zunächst ein Gläubiger wie alle anderen, vor allem aber bin ich Christus selber am Altar! Ich erneuere auf unblutige Weise das göttliche Opfer auf Golgotha und konsekriere in persona Christi, ihn wirklich vertretend, da ich ihm meinen Leib und meine Stimme, meine Hände und mein Herz leihe: mein armes, so oft beflecktes Herz, das von ihm geläutert werden möchte.
Aber auch, wenn ich die heilige Messe nur in Gegenwart des Ministranten feiere, ist das Volk zugegen. Ich fühle alle Katholiken anwesend, alle Gläubigen und auch jene, die nicht glauben. Und ebenso sind alle Geschöpfe Gottes zugegen – die Erde, der Himmel, das Meer, die Tiere und die Pflanzen –, die ganze Schöpfung vereint im Lob Gottes. Und besonders vereinen wir uns mit der himmlischen Kirche, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, in heiliger Gemeinschaft ehren wir dabei das Andenken der allerseligsten, allzeit reinen Jungfrau Maria, des heiligen Josef, aller Apostel und Märtyrer und aller Heiligen [Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Konst. Dog. Lumen Gentium, 50].
Ich bitte alle Christen, daß sie viel für uns Priester beten, damit wir heiligmäßig das heilige Opfer feiern. Möge ihre Liebe zur heiligen Messe so feinfühlig sein, daß wir Priester uns gedrängt fühlen, sie mit menschlicher und übernatürlicher Würde, mit Eleganz zu feiern, achtend auf die Sauberkeit der Paramente und heiligen Gefäße, andächtig, ohne Eile.
Warum Eile? Beeilen sich etwa Menschen, die sich lieben, wenn sie Abschied nehmen? Es scheint, als würden sie gehen, und gehen doch noch nicht, sie kehren wieder um, wiederholen einfache Worte, als hätten sie sie erst jetzt entdeckt… Wendet ruhig Beispiele der echten und reinen Liebe unter Menschen auf unser Verhältnis zu Gott an. Wenn wir den Herrn mit diesem unseren Herzen aus Fleisch lieben – und ein anderes Herz haben wir nicht –, dann werden wir nicht übereilig diese liebende Begegnung mit dem Herrn beenden wollen.
Manche lassen sich Zeit und haben keine Bedenken, lange Hinweise und Bekanntmachungen bis zur Ermüdung zu verlesen. Aber dann, wenn das Wichtigste in der heiligen Messe, das eigentliche Opfer, beginnt, überstürzen sie sich und erschweren den anderen Gläubigen, Christus – Priester und Opfer zugleich – andächtig anzubeten und ihm danach ruhig und ohne Hast dafür zu danken, daß er wieder unter uns hat weilen wollen.
Die heilige Messe ist für alle Regungen und Anliegen des menschlichen Herzens der beste Weg: der Weg, der durch Christus und im Heiligen Geiste zum Vater führt.
Der Priester muß sich ganz besonders darum bemühen, daß alle dies wissen und leben. Keine andere Tätigkeit darf derjenigen vorgezogen werden, zu zeigen, wie man die heilige Eucharistie liebt und verehrt.
In doppelter Weise wirkt der Priester ein auf Christi Leib, und zwar zunächst auf seinen wahrhaft gegenwärtigen und dann auf seinen mystischen Leib. Diese zweite Wirkung hat ihren Grund in der ersten und nicht umgekehrt [Thomas von Aquin, S. Th. Supl. q. 36, a 2, ad 1]. Der höchste Wert des Priesteramtes liegt daher im Bemühen des Priesters, den Katholiken zu helfen, mit immer größerer Reinheit, Demut und Andacht zum heiligen Opfer zu gehen. Wenn er das tut, wird er nicht enttäuscht sein und seine Brüder nicht enttäuschen.
In der heiligen Messe sind wir Anbeter, die voll Liebe die Hauptpflicht des Geschöpfes gegenüber seinem Schöpfer erfüllen: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und nur ihm dienen [Dt 6,13; Mt 4,10]. Aber unsere Anbetung soll nicht kühl, äußerlich, knechtisch sein, sie soll innige Wertschätzung und Hingabe liebender Kinder sein. In der heiligen Messe finden wir eine vollkommene Gelegenheit, für unsere eigenen Sünden und die Sünden aller Menschen zu sühnen: wir können mit dem Apostel Paulus sagen, daß wir an unserem eigenen Fleisch erfüllen, was am Leiden Christi noch fehlt [Vgl. Kol 1,24]. Keiner geht allein durch die Welt, keiner darf sich frei fühlen von seinem Schuldanteil am Bösen, das als Folge der Erbsünde und auch der vielen persönlichen Sünden auf Erden fortlebt. Lieben wir das Opfer, suchen wir die Sühne. Aber wie? Durch die Vereinigung mit Christus, Priester und Opfer, in der heiligen Messe: immer wird er es sein, der die enorme Last der Treulosigkeit seiner Geschöpfe – die Last deiner und meiner Treulosigkeit – auf sich lädt.
Das Kreuzesopfer ist ein unendlicher Beweis der Großherzigkeit Christi. Wir alle, jeder von uns, sind immer auf das Eigene bedacht: doch Gott, unseren Herrn, stört es nicht, daß wir in der heiligen Messe alle unsere Nöte vor ihm ausbreiten. Wer könnte behaupten, es gäbe nichts, worum er zu bitten hätte? Herr, diese Krankheit…, Herr, diese Sorge…, Herr, jene Demütigung, die ich nicht aus Liebe zu dir zu ertragen weiß… Wir wollen das Gute, wir wollen Glück und Freude für die Menschen, die uns nahestehen; uns bedrückt das Los jener Menschen, die nach Brot und nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, das Los jener, die die Bitternis der Einsamkeit spüren, das Los jener, die an ihrem Lebensabend keinen liebevollen Blick und keine helfende Hand finden. Aber das unermeßliche Elend, das uns quält, und die große Not, die wir beseitigen wollen, ist die Sünde, das Sich–entfernen von Gott, die Gefahr, daß Menschen für immer verlorengehen. Wenn wir die heilige Messe feiern, soll unser Hauptanliegen dasselbe sein, das Christus zur Hingabe seines Lebens auf Golgotha führte: die ewige Herrlichkeit aller Menschen in der Liebe Gottes.
Gewöhnen wir uns daran, in dieser Aufrichtigkeit mit Christus zu sprechen, wenn er, das unschuldige Opfer, in die Hände des Priesters niedersteigt. Unser Vertrauen auf die Hilfe des Herrn wird unserer Seele jenes feine Gespür geben, das sich in Werken der Güte und der Liebe äußert: in Verständnis, in herzlichem Mitgefühl für jene, die leiden, wie für jene, die ein Glück vortäuschen, das leer und falsch ist und bald in Traurigkeit umschlägt.
Danken wir schließlich für alles, was uns Gott, unser Herr, durch die große Tat seiner Hingabe schenkt. Das menschgewordene Wort in uns… Der Schöpfer Himmels und der Erde in unsere Niedrigkeit eingeschlossen… Maria wurde ohne Makel empfangen, um in ihrem Schoß Christus zu tragen. Wenn das Wirken der Gnade den Unterschied zwischen Gabe und Verdienst überbrückt, sollten wir angesichts dieser Tatsache nicht den ganzen Tag in eine ständige Eucharistie verwandeln? Geht nicht schon gleich nach dem Empfang der Kommunion weg! Ist die Arbeit, die auf euch wartet, wirklich so wichtig, daß ihr dem Herrn nicht einmal zehn Minuten widmen könnt, um ihm zu sagen: Danke? Seien wir nicht knauserig; Liebe vergilt man mit Liebe.
Der Priester, der die heilige Messe so lebt – anbetend, sühnend, bittend, dankend, eins geworden mit Christus und der die Gläubigen lehrt, aus dem heiligen Opfer die Mitte und Wurzel des christlichen Lebens zu machen, bezeugt damit die unvergleichliche Würde der Berufung zum Priestertum, das unauslöschliche Prägemal, das einen Menschen zum Priester auf ewig macht.
Ich weiß, daß ihr mich versteht, wenn ich euch sage, daß neben einem solchen Priester das Verhalten mancher anderer, die sich so geben, als ob sie sich wegen ihres Priesterseins entschuldigen müßten, sowohl vom Menschlichen wie vom Glauben her als ein Versagen erscheint. Es ist wirklich schade, denn diese Haltung führt sie dazu, ihr Dienstamt zu vernachlässigen, die Laien partout nachzuahmen und sich eine Nebenbeschäftigung zu suchen, die allmählich ihre ureigene Aufgabe, durch Berufung und Sendung übertragen, verdrängt. Oft neigen sie dazu, die Arbeit der Seelsorge, vor der sie fliehen, durch Einmischung in Bereiche, die Sache der Laien sind – gesellschaftliche Initiativen, Politik usw. – zu ersetzen: so entsteht der Klerikalismus, die pathologische Deformation der wahren priesterlichen Aufgabe.
Ich möchte aber nicht mit dieser negativen Bemerkung schließen, die pessimistisch klingen könnte. Das echte christliche Priestertum ist in der Kirche nicht verschwunden; die Lehre, die aus dem Munde unseres Gottes, Jesu Christi, kommt, ändert sich nicht. Und in der ganzen Welt gibt es Tausende von Priestern, die ihre Aufgabe voll erfüllen, ohne Lärm und ohne die Versuchung, einen Schatz der Heiligkeit und der Gnade, wie es ihn in der Kirche von Anfang an gegeben hat, über Bord zu werfen.
Es macht mich sehr froh, daß diese meine Brüder, überall in der Welt, menschlich und übernatürlich ihre Berufung voll Würde und Feingefühl leben. Und es ist nur gerecht, daß viele Christen mit ihrer Freundschaft, ihrer Hilfe und ihrer Ermutigung ihnen zur Seite stehen. Wenn für diese Priester der Augenblick gekommen ist, vor Gott hinzutreten, dann wird ihnen Christus entgegengehen, um ihnen, die zeitlebens in seinem Namen und in seiner Person handelten und großzügig die Gnade weitergaben, die sie zu verwalten hatten, die ewige Herrlichkeit zu geben.
Kehren wir in Gedanken zu den Mitgliedern des Opus Dei zurück, die in diesem Sommer zu Priestern geweiht werden. Vergeßt nicht, für sie zu beten, damit sie immer treue, fromme, gelehrte, selbstlose und frohe Priester sind. Bittet besonders Unsere Liebe Frau für sie, damit Maria ihre mütterliche Fürsorge jenen zukommen läßt, die sich darauf eingelassen haben, fürs Leben ganz nahe ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, dem Ewigen Priester, zu dienen.