Kreuzweg

  1. Jesus wird zum Tode verurteilt
  2. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
  3. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
  4. Jesus begegnet seiner heiligsten Mutter
  5. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
  6. Eine fromme Frau reicht Jesus das Schweißtuch
  7. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
  8. Jesus tröstet die weinenden Frauen
  9. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
  10. Jesus wird seiner Kleider beraubt
  11. Jesus wird ans Kreuz geschlagen
  12. Jesus stirbt am Kreuz
  13. Jesus wird vom Kreuz genommen und seiner Mutter übergeben
  14. Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt

 «    Vorwort    » 

Versetze dich in die Wunden des gekreuzigten Herrn. Als Msgr. Josemaría Escrivá de Balaguer den Ratsuchenden, die ihr inneres Leben vertiefen wollten, diesen Weg wies, teilte er ihnen nur seine eigene Erfahrung mit. Er zeigte ihnen den geraden Weg, den er sein ganzes Leben lang gegangen war und der ihn zu den höchsten Gipfeln der Spiritualität geführt hatte. Immer ist bei ihm die Liebe zu Jesus eine greifbare Wirklichkeit gewesen: kraftvoll und zart, kindhaft und zu Herzen gehend. Eindringlich und überzeugend pflegte der Gründer des Opus Dei zu versichern, daß das christliche Leben letztlich in nichts anderem bestehe als Christus nachzufolgen: das ist das ganze Geheimnis. Es gilt, Ihn so sehr aus der Nähe zu begleiten, daß wir mit Ihm zusammen leben wie die ersten Zwölf; so nahe, daß wir mit Ihm eins werden, so fügte er hinzu. Deshalb empfahl er, immer wieder das Evangelium zu meditieren. Diejenigen, denen es vergönnt war, seine Betrachtungen zu Ereignissen aus dem Leben Christi zu hören, haben sie als etwas Lebendiges und Aktuelles erfahren, weil sie dazu gebracht wurden, sich als Teilnehmer am Geschehen zu fühlen.

Unter allen Evangelienberichten verweilte Msgr. Escrivá de Balaguer besonders gern und eingehend bei denen über den Tod und die Auferstehung Jesu. Sein Blick richtete sich hierbei vor allem auf die Heiligste Menschheit unseres Herrn: wie Christus sich, von seinem Wunsch nach Nähe zu jedem einzelnen gedrängt, in der Schwachheit des Menschen und im Glanz Gottes offenbart. Deswegen, so sagte er, rate ich immer die Lektüre von Büchern über die Leidensgeschichte des Herrn an. Diese Schriften, die echt fromm sind; vergegenwärtigen uns den Sohn Gottes, der Mensch wie wir und zugleich wahrer Gott ist und der im Fleische um der Erlösung der Welt willen liebt und leidet. Und es ist wahr: ein Christ reift und wird stark, wenn er nahe dem Kreuze steht dort, wo er auch Maria, seine Mutter, findet. Und dort entdeckt er in der Kraft des Heiligen Geistes, daß er selbst dazu berufen ist, sich der Großtat der Erlösung anzuschließen, indem er inmitten der Mühen des Alltags am Leiden Christi teilnimmt. So lesen wir in der Konstitution Gaudium et spes: "Ja wir halten fest: Durch seine Gott dargebrachte Arbeit verbindet der Mensch sich mit dem Erlösungswerk Jesu Christi selbst, der, indem Er in Nazareth mit eigenen Händen arbeitete, der Arbeit eine einzigartige Würde verliehen hat." Jeder Mensch, der zur Einswerdung mit Christus am Kreuz berufen ist, hat durch eine solche Verbindung Anteil an den Gnaden des Erlösungsgeheimnisses, er wird zum Miterlöser  ein kraftvoller Ausdruck, den Msgr. Escrivá gern im Einklang mit der Erlösungslehre der Kirche benutzte. Das neue Leben in Christus erlangt so eine ungeahnte Dimension des Dienstes an Gott und den Menschen.

Der Gründer des Opus Dei hat den hier vorgelegten Kreuzweg als Frucht seines kontemplativen Gebetes über das Leidensgeschehen auf Golgotha verfaßt. Er wollte damit zur Betrachtung des Leidens Christi anregen, lehnte es aber immer ab, bei dieser so tief im Christlichen verwurzelten Gebetsübung seinem Text einen Charakter von Verbindlichkeit zu geben. Seine Liebe zur Freiheit der Gewissen und seine Ehrfurcht vor dem inneren Leben eines jeden einzelnen waren so tief, daß er nicht einmal seine Kinder im Opus Dei auf bestimmte Frömmigkeitsübungen verpflichtet hat, abgesehen natürlich von denen, die zum Wesen der von Gott für das Opus Dei gewollten Spiritualität gehören.

Dieses neue Werk von Msgr. Escrivá de Balaguer, das nach seinem Tode erscheint, wird wie alle bisher veröffentlichten mit dem Wunsch herausgegeben, es möge zum Beten verhelfen und dazu, daß mit Gottes Gnade der Geist der Reue  Schmerz aus Liebe und der Dankbarkeit gegenüber dem Herrn wachse, der uns um den Preis seines Blutes losgekauft hat. Zu diesem Zweck wurden als Anregungen für die Betrachtung Worte hinzugefügt, die aus der Verkündigung von Msgr. Escrivá de Balaguer oder aus Gesprächen mit ihm stammen und die seinen Drang bezeugen, nur von Gott und von nichts anderem als von Gott zu sprechen.

Der Kreuzweg ist keine trübselige Übung. Msgr. Escrivá de Balaguer hat oft betont, daß die Wurzel der christlichen Freude die Form des Kreuzes hat. Das Leiden Christi ist der Weg des Schmerzes, zugleich aber auch der Weg der Hoffnung und des unverlierbaren Sieges. In einer seiner Homilien sagt er dazu: Bedenke, daß Gott deine Freude will: Wenn du im Rahmen deiner Möglichkeiten dein Bestes tust, dann wirst du glücklich, sehr, sehr glücklich sein, auch wenn dir das Kreuz niemals fehlen wird. Aber das Kreuz ist dann kein Schafott mehr, sondern der Herrscherthron Jesu Christi. Neben unserem Herrn steht Maria, seine Mutter, die auch unsere Mutter ist. Sie möge dir die Kraft erwirken, die du brauchst, um entschlossen den Schritten ihres Sohnes zu folgen.

Alvaro del Portillo

Rom, am Fest Kreuzerhöhung, 14. September 1980

 «    Kreuzweg    » 

Mein Herr und mein Gott,
unter dem liebenden Blick unserer Mutter
wollen wir Dich auf dem Leidensweg begleiten,
der das Lösegeld für unseren Loskauf gewesen ist.
Alles, was Du erlitten hast, wollen wir mitleiden.
Wir wollen Dir unser armes Herz darbringen,
ein zerknirschtes Herz, denn Du, der Unschuldige,
wirst für uns, die allein Schuldigen, sterben.
Maria, meine Mutter, schmerzensreiche Jungfrau,
hilf mir, jene bitteren Stunden aufs neue zu durchleben,
die dein Sohn hier auf Erden hat erdulden wollen,
damit wir, armselige Geschöpfe aus einer Handvoll Lehm,
zu einem Leben in libertatem gloriae filiorum Dei,
in der Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes
gelangen können.

 «    I. Station    » 

Jesus wird zum Tode verurteilt
Es ist zehn Uhr vormittags vorbei. Der Prozeß wird bald zu Ende sein. Schlüssige Beweise hat man nicht gefunden. Der Richter weiß, daß Jesu Feinde Ihn aus Neid überliefert haben. Er unternimmt einen sinnlosen Versuch: es soll zwischen Barabbas einem wegen Raubmordes angeklagten Verbrecher und Jesus, der sich Christus nennt, gewählt werden. Das Volk entscheidet sich für Barabbas. Pilatus spricht:
Was soll ich dann mit Jesus anfangen? (Mt 27,22).
Sie antworten: Ans Kreuz mit Ihm!
Wieder der Richter: Was für ein Verbrechen hat Er denn begangen?
Sie schreien abermals: Ans Kreuz mit Ihm! Ans Kreuz mit Ihm!
Der Tumult wird immer stärker. Pilatus bekommt Angst. Er befiehlt, Wasser zu bringen, und wäscht sich vor dem Volk die Hände, dabei sagt er:
Ich bin unschuldig am Blute dieses Gerechten. Seht ihr zu (Mt 27,24).
Er läßt Jesus geißeln. Dann übergibt er Ihn zur Kreuzigung. Die wuterfüllten, besessenen Kehlen verstummen. Es ist, als hätten sie Gott niedergerungen.
Jesus ist allein. Fern sind die Tage, da das Wort des Gottmenschen die Herzen mit Licht und Hoffnung erfüllte. Vorbei sind die langen Züge der geheilt heimkehrenden Kranken. Und auch die Jubelrufe Jerusalems, als der Herr auf dem Rücken eines friedlichen jungen Esels einzog, sind verhallt. Hätten doch die Menschen der Liebe Gottes einen anderen Weg bahnen wollen! Hätten wir, du und ich, den Tag des Herrn doch erkannt!

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Jesus betet im Ölgarten: Pater mi (Mt 26,39), Abba, Pater! (Mk 14,36). Gott ist mein Vater, auch dann, wenn Er mir Leid schickt. Seine Liebe ist zart, auch dann, wenn Er mich verwundet. Jesus leidet, um den Willen des Vaters zu erfüllen… Auch ich will den heiligsten Willen Gottes in der Nachfolge des Meisters erfüllen. Warum dann klagen, wenn Leid mich auf meinem Weg begleitet?
Ich will darin das sichere Merkmal erkennen, daß ich Kind bin: Gott handelt ja an mir so, wie Er an seinem göttlichen Sohn gehandelt hat. Und wie Er darf ich dann unter Seufzern weinen, allein in meinem Gethsemani; doch auf der Erde liegend nehme ich meine Nichtigkeit an und aus der Tiefe meiner Seele dringt mein Ruf zu Gott: Pater mi, Abba, Pater,… fiat!

 «   2   »  Jesus wird gefangen genommen…: venit hora: ecce Filius hominis tradetur in manus peccatorum (Mk 14,41)… Also hat auch der sündige Mensch seine Stunde? Ja, und Gott seine Ewigkeit!…
Jesus in Ketten! Ketten, die der Herr aus freiem Willen angenommen hat; fesselt auch mich und laßt mich so das Leiden meines Herrn teilen, damit dieser todbringende Leib sich beuge… Denn es gibt keinen Mittelweg: entweder mache ich ihn mir gefügig, oder er erniedrigt mich. Und ich will lieber Knecht meines Gottes als Sklave meines Fleisches sein.

 «   3   »  Ein Scheinprozeß findet statt; Jesus schweigt. Iesus autem tacebat (Mt 26, 63). Dann antwortet Er auf die Fragen von Kaiphas und Pilatus… Zu Herodes aber, dem launenhaften Lüstling, spricht Er nicht (vgl. Lk 23,9). Die Sünde der Unkeuschheit erniedrigt den Menschen so sehr, daß er nicht einmal die Stimme des Heilandes vernimmt.
Mögen sich auch die Menschen in noch so weiten Bereichen der Gesellschaft der Wahrheit widersetzen, du schweige und bete und kasteie dich… und warte ab. Denn auch in den Seelen, die scheinbar verloren sind, bleibt bis zum letzten Atemzug die Fähigkeit erhalten, Gott von neuem zu lieben.

 «   4   »  Bald wird das Urteil gesprochen. Auf die höhnische Bemerkung des Pilatus: ecce rex vester! (Joh 19,14), reagieren die Hohenpriester voll Wut: Wir haben keinen andern König als den Kaiser (Joh 19,15).
Wo sind Deine Freunde, Herr? Wo Deine Untertanen? Alle haben Dich verlassen. Ein Sich-aus-dem-Staube-Machen, das schon zweitausend Jahre andauert… Wir alle fliehen vor dem Kreuz, vor Deinem heiligen Kreuz.
Blut, Angst, Einsamkeit und ein unstillbares Verlangen nach Seelen…, nichts sonst gibt Deinem Königszug das Geleit.

 «   5   »  Ecce homo! (Joh 19,5). Das Herz erschaudert beim Anblick der Heiligsten Menschheit unseres Herrn, zu einer einzigen Wunde geworden. Fragt man ihn dann: Was sind das für Narben auf deiner Brust? so antwortet er: Man hat mich im Haus meiner Freunde geschlagen (Zach 13,6).
Blicke auf Jesus. Jede Wunde klagt an, jede Geißelstrieme mahnt zur Reue wegen der Beleidigungen, die du und ich Ihm zugefügt haben.

 «    II. Station    » 

Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
Nordwestlich von Jerusalem, außerhalb der Stadtmauer, erhebt sich ein kleiner Hügel, aramäisch Golgotha, lateinisch locus calvariae, Schädelstätte oder Kalvarienberg, genannt.
Wehrlos unterwirft sich Jesus der Urteilsvollstreckung. Nichts bleibt Ihm erspart: auf seine Schultern senkt sich die Last des Schandkreuzes. Aber durch die Macht seiner Liebe wird dieses Kreuz zum Thron seiner Königswürde.
Einwohner Jerusalems und Fremde, die zum Passahfest in der Stadt weilen, drängen sich entlang den Straßen, durch die Jesus von Nazareth, der König der Juden, sich schleppt. Lautes Stimmengewirr der Menge, nur manchmal durch ein kurzes Schweigen unterbrochen, wenn der Blick des Herrn auf jemandem von ihnen verweilt:
Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und so folge er mir! (Mt 16,24).
Mit welcher Liebe umarmt Jesus das Holz, an dem Er sterben wird!
Ist es nicht wirklich so, daß du dich glücklich fühlst und alle Belastungen, alle körperlichen oder seelischen Schmerzen überwindest, sobald du das Kreuz das, was die Menschen Kreuz nennen nicht mehr fürchtest und deinen Willen ganz mit dem göttlichen Willen vereinigst?
Das Kreuz Christi, in Wahrheit ist es sanft und liebenswert. Nahe bei ihm schwinden die Kümmernisse dahin, und es bleibt allein die Freude, sich als Miterlöser neben dem Herrn zu wissen.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Langsam bildet sich der Zug… Viele umringen Jesus, der zum Gespött aller geworden ist. Er! der die Welt durchzog, um Gutes zu tun, und der alle von ihren Leiden heilte (vgl. Apg 10,38).
Sie schicken sich an, Ihn zum Richtplatz zu führen: Ihn, Jesus, den guten Meister, der uns, da wir noch fern waren, entgegeneilte.

 «   2   »  Ein langer Zug ist es, ein großes Aufgebot, wie zur Feier eines Festtages. Die Jesus verurteilt haben, sie wollen ihren Sieg in einer langsamen und grausamen Tortur auskosten.
Der Tod Jesu wird nicht die Sache eines Augenblicks sein… Viel Zeit wird Ihm noch bleiben, in der Schmerz und Liebe vollkommen mit dem liebenswerten Willen des Vaters verschmelzen. Ut facerem voluntatem tuam, Deus meus, volui, et legem tuam in medio cordis mei (Ps 40, 9): Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude, Deine Weisung trag' ich im Herzen.

 «   3   »  Je mehr du Christus gehören willst, um so mehr Gnade wirst du empfangen für deine Wirksamkeit auf Erden und für die ewige Glückseligkeit.
Aber du mußt dich dazu entschließen, den Weg der Hingabe zu gehen: das Kreuz auf deinen Schultern, auf deinen Lippen ein Lächeln und in deiner Seele ein Licht.

 «   4   »  Du hörst eine innere Stimme: "Dies freiwillig angenommene Joch wie schwer wiegt es!"… Es ist die Stimme des Teufels; die Last… deines Hochmutes.
Erbitte vom Herrn Demut. Auch du wirst dann die Worte Jesu begreifen: iugum enim meum suave est, et onus meum leve (Mt 11,30), die ich gern so wiedergebe: Mein Joch ist die Freiheit, mein Joch ist die Liebe, mein Joch ist die Einheit, mein Joch ist das Leben, mein Joch ist die Wirksamkeit.

 «   5   »  Überall um uns spüren wir dieses Klima der Angst vor dem Kreuz, vor dem Kreuz des Herrn. Schon wird jede Unannehmlichkeit im Leben "Kreuz" genannt, und man vermag sie nicht mehr in der Haltung der Kinder Gottes, mit Gespür für ihren übernatürlichen Wert, zu tragen. Das geht so weit, daß vielfach die Wegkreuze entfernt werden, die unsere Vorfahren errichteten…!
Durch die Passion Christi wurde das Schandholz zum Triumphmal. Das Kreuz ist das Erkennungszeichen des Erlösers: in quo est salus, vita et resurrectio nostra: in ihm ist unser Heil, unser Leben, unsere Auferstehung.

 «    III. Station    » 

Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
Das Kreuz schneidet immer tiefer in die verwundete Schulter des Herrn.
Der Menschenandrang nimmt ständig zu. Wie ein Strom, der über die Ufer tritt, ergießt sich die Flut der rasenden, aufgepeitschten Menge durch die Gassen Jerusalems. Die Soldaten vermögen sie kaum zurückzuhalten.
Der entkräftete Leib Jesu schwankt schon unter der schweren Last des Kreuzes. Und sein Herz, dieses Herz voller Liebe, vermag kaum mehr die zerschundenen Glieder zu beleben.
Rechts und links von sich sieht der Herr die Volksmenge dahintreiben, wie eine Herde ohne Hirt. Jeden einzelnen könnte Er bei seinem Namen rufen, jeden einzelnen, auch uns. Hier sind sie, die Er bei der wunderbaren Vermehrung der Brote und Fische sättigte; die Er von ihren Leiden heilte; die Er am See, auf dem Berge und in der Halle des Tempels lehrte.
Ein schneidender Schmerz durchdringt die Seele Jesu. Erschöpft bricht der Herr zusammen.
Du und ich, wir können nichts sagen: aber wir begreifen jetzt, warum das Kreuz Jesu so schwer wiegt. Wir weinen über unsere Erbärmlichkeit und über die erschreckende Undankbarkeit des menschlichen Herzens. Aus tiefster Seele steigt ein Gebet echter Reue auf, das uns aus der Niedergeschlagenheit der Sünde befreit. Jesus ist gefallen, damit wir uns erheben: einmal und immer wieder.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Du bist traurig?… Weil du in diesem Handgemenge unterlegen bist?
Nein! Freue dich! Denn schon beim nächsten wirst du mit der Gnade Gottes und deiner demütigenden Erfahrung von jetzt siegen!

 «   2   »  Solange es den Kampf gibt, den asketischen Kampf, solange gibt es auch übernatürliches Leben. Das ist es, was der Herr von uns erbittet: die Bereitschaft, Ihn lieben zu wollen mit Taten, in den kleinen Dingen eines jeden Tages.
Wenn du im Kleinen siegst, dann wirst du auch im Großen Sieger sein.

 «   3   »  "Der stirbt. Da ist nichts mehr zu machen…"
Es war vor Jahren, in einem Madrider Krankenhaus. Nach der Beichte reichte der Priester dem Kranken das Kruzifix zum Kusse. Doch der, ein Zigeuner, rief immer wieder und er ließ sich nicht beschwichtigen:
"Mit so einem verdreckten Mund darf ich den Herrn nicht küssen!"
"Aber du wirst Ihn ja gleich umarmen und küssen, im Himmel!"
…Hast du je eine erschütterndere und zugleich herrlichere Art gesehen, Reue zu zeigen?

 «   4   »  Du sprichst, doch man hört dir nicht zu. Oder man hört dir wohl zu, aber begreift dich nicht. Du bleibst unverstanden!… Mag sein. Nur mache dir klar: damit dein Kreuz Teil vom Kreuz Christi wird, ist es notwendig, daß du jetzt so weiterarbeitest, ohne daß man viel auf dich achtet. Andere werden dich einmal verstehen.

 «   5   »  Wie viele Menschen, angetrieben von ihrem Hochmut und ihrem Wunschdenken, erklimmen Kalvarienberge, die nicht das Golgotha Christi sind!
Das Kreuz, das du tragen sollst, ist das göttliche Kreuz. Sag nein zu einem Kreuz, das nur von dieser Welt ist. Und läutere sofort deine Absicht, wenn du bemerkst, daß du solch einer Versuchung nachgegeben hast. Daß der Herr aus Liebe zu uns so unendlich viel mehr gelitten hat daran zu denken genügt doch schon.

 «    IV. Station    » 

Jesus begegnet seiner heiligsten Mutter
Kaum hat sich der Herr nach seinem ersten Sturz wieder erhoben, da begegnet Er seiner heiligsten Mutter, die am Wegesrand steht.
Mit unermeßlicher Liebe schaut Maria auf Jesus, und Jesus auf seine Mutter. Ihre Blicke begegnen sich, und jeder ergießt seinen Schmerz in das Herz des anderen. Das bittere Leiden Christi überflutet die Seele Mariens.
Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut und seht, ob ein Schmerz wohl sei wie der meine! (Klgl 1,12).
Aber niemand bemerkt es, keiner schaut hin, nur Jesus allein.
Jetzt erfüllt sich Simeons Prophezeiung: Und auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen (Lk 2,35).
In der dunklen Verlassenheit der Passion schenkt Unsere Liebe Frau ihrem Sohn den Balsam der Zärtlichkeit, der Einswerdung, der Treue ein Ja zum göttlichen Willen.
An der Hand Mariens wollen auch wir du und ich Jesus Trost spenden, indem wir immer und in allem den Willen seines Vaters, der auch unser Vater ist, annehmen.
Nur so können wir die Beglückung des Kreuzes Christi auskosten. Nur so werden wir das Kreuz in der Kraft der Liebe umarmen und es als Zeichen des Sieges über alle Wege der Erde tragen.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Wer könnt' ohne Tränen sehen / Christi Mutter also stehen / in so tiefen Jammers Not?
Dort ihr zerschundener Sohn… Und hier, fern von Ihm, wir: feige und widersetzlich gegen Gottes Willen.
Meine Mutter, meine Gebieterin: lehre mich, mein Ja so zu sprechen wie du, damit es ganz und gar in den Ruf Jesu an seinen Vater einmünde: non mea voluntas… (Lk22,42), nicht mein Wille, sondern der Wille Gottes geschehe.

 «   2   »  Wieviel Erbärmlichkeit! Wie viele Beleidigungen Gottes! Von dir, von mir, von der gesamten Menschheit…
Et in peccatis concepit me mater mea! (Ps 51,7). Mit dem Makel der Schuld unserer Stammeltern bin ich, wie alle Menschen, geboren. Und dann…, meine persönlichen Sünden: meine Auflehnungen im Denken, im Wollen, im Tun…
Um uns von dieser Verderbnis zu reinigen, hat Jesus sich erniedrigen und Knechtsgestalt (vgl. Phil 2,7) annehmen wollen. Er wurde Mensch im reinen Schoß Mariens, seiner Mutter, die auch deine und meine Mutter ist. Er lebte dreißig Jahre im Verborgenen, als ein Arbeiter unter vielen, an der Seite Josefs. Er verkündigte seine Lehre. Er wirkte Wunder… Und wir vergelten es Ihm mit dem Kreuz.
Brauchst du noch mehr Gründe für deine Reue?

 «   3   »  Jesus hat diese Begegnung mit seiner Mutter erwartet. Wie viele Erinnerungen an die Kindheit! : Bethlehem, das ferne Ägypten, das kleine Dorf Nazareth. Und auch jetzt will Er sie neben sich haben, auf dem Kalvarienberg.
Wir brauchen sie!… Wenn ein kleines Kind in der dunklen Nacht Angst hat, dann ruft es: Mama!
So muß auch ich immer wieder mit dem Herzen rufen:
Mutter! Mutter! Verlaß mich nicht.

 «   4   »  Bis zur vorbehaltlosen Hingabe ist es noch ein Stückchen Weg. Solltest du noch nicht dahin gelangt sein, mach dir keine Sorge darum, kämpfe weiter. Der Tag wird kommen, an dem du keinen anderen Weg mehr siehst als Ihn Jesus , als seine heiligste Mutter und die übernatürlichen Gnadenmittel, die der Meister uns hinterlassen hat.

 «   5   »  Wenn unsere Seele voll Glauben ist, werden wir allem, was hier auf Erden geschieht, nur eine relative Bedeutung beimessen. So hielten es die Heiligen… Der Herr und seine Mutter verlassen uns nicht. Und immer, wenn es nötig ist, werden sie uns zur Seite stehen, um die Herzen der Ihren mit Frieden und Sicherheit zu erfüllen.

 «    V. Station    » 

Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
Jesus ist erschöpft. Nur mühsam schleppt Er sich noch weiter. Die Soldaten wollen zu Ende kommen. So greifen sie, als sie die Stadt durch die Richterpforte verlassen, einen Mann auf, der vom Felde kommt, Simon von Cyrene, den Vater des Alexander und des Rufus. Sie zwingen ihn, das Kreuz Jesu zu tragen (vgl. Mk 15,21).
Auf das Ganze der Passion gesehen, bedeutet diese Hilfeleistung nur sehr wenig. Aber Jesus genügt ein Lächeln, ein Wort, ein Zeichen, eine Spur Liebe, um die Fülle seiner Gnade über die Seele des Freundes auszugießen. Jahre später werden die Söhne des Simon Christen sein, bekannt und angesehen bei ihren Brüdern im Glauben.
Alles begann durch eine unerwartete Begegnung mit dem Kreuz.
Ich war zu erfragen für die, die nicht nach mir fragten. Ich war zu finden für die, die nicht nach mir suchten (Is 65,1).
Manchmal ragt plötzlich das Kreuz vor uns auf, ohne daß wir es gesucht haben: es ist Christus, der nach uns fragt. Wohl mag sich das Herz gegen dieses Kreuz sträuben, das uns weil wir nicht mit ihm rechneten vielleicht um so dunkler erscheint… Versuche nicht, dein Herz zu trösten. Wenn es aber darauf besteht, dann sage ihm langsam und mitfühlend, wie in einer vertraulichen Zwiesprache: Herz, du Herz am Kreuz! Du Herz am Kreuz!

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Du willst wissen, wie du dem Herrn danken kannst für alles, was Er für uns getan hat?… Mit Liebe! Einen anderen Weg gibt es nicht.
Liebe vergilt man mit Liebe. Aber die Gewißheit, von Herzen zu lieben, erhältst du nur durch das Opfer. Also Mut! Verleugne dich selbst und nimm Sein Kreuz auf dich. Dann darfst du sicher sein, daß du Seine Liebe mit Liebe erwiderst.

 «   2   »  Es ist nicht zu spät, noch ist nicht alles verloren… Selbst wenn es dir so scheinen mag; und wenn tausend Stimmen es unheilvoll verkünden; und wenn skeptische, spöttische Blicke dir folgen… Du bist zur rechten Zeit gekommen, um das Kreuz auf dich zu nehmen: die Erlösung vollzieht sich immer noch jetzt! Und Jesus braucht viele Helfer wie den von Cyrene.

 «   3   »  Ein edles Herz scheut das Opfer nicht, wenn es um das Glück dessen geht, den es liebt. Eine großmütige Seele überwindet das Gefühl des Widerwillens, wenn sie die Mienen eines Leidenden aufhellen kann; ohne zu zögern, gibt sie sich hin… Und Gott? Verdient Er etwa weniger Liebe als Menschen aus Fleisch, aus einer Handvoll Staub geformt?
Lerne, den Launen des Augenblicks zu entsagen. Nimm die Widerwärtigkeiten an, ohne sie aufzubauschen, ohne dich aufzuregen, ohne… Hysterie. Das Kreuz Jesu wird dann leichter auf seinen Schultern.

 «   4   »  Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, weil auch er ein Sohn Abrahams ist. Der Menschensohn ist ja gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren war (Lk 19,9-10).
Zachäus, Simon von Cyrene, Dimas, der römische Hauptmann…
Jetzt weißt du schon, weshalb dich der Herr gesucht hat. Danke Ihm!… Aber opere et veritate, mit Taten und in Wahrheit.

 «   5   »  Wie du das Heilige Kreuz Jesu wirklich lieben sollst?… Begehre es!… Und erbitte vom Herrn die Kraft, es in den Herzen aller Menschen, überall in der Welt, aufrichten zu können! Und dann… leiste freudig Sühne und lasse dein liebendes Herz auch im Namen jener schlagen, die Ihn noch nicht lieben.

 «    VI. Station    » 

Eine fromme Frau reicht Jesus das Schweißtuch
Nicht Gestalt ist an ihm, nicht Schönheit, daß wir ihn ansehen möchten, und kein Aussehen, daß wir Gefallen fänden an ihm. Verachtet war er, der letzte der Menschen. Ein Mann der Schmerzen, mit Leiden vertraut. Wie einer, vor dem man sein Antlitz verhüllt, so war er verachtet. Wir schätzten ihn nicht (Is 53,2-3).
Es ist der Sohn Gottes, der da vorbeizieht, zum Toren geworden… zum Toren geworden aus Liebe!
Eine Frau mit Namen Veronika drängt sich durch die Menge. Sie trägt, zusammengefaltet, ein weißes Leinentuch bei sich, mit dem sie ehrfürchtig das Angesicht Christi abwischt. Auf dem dreifach gefalteten Tuch bleiben die Züge des heiligen Antlitzes zurück.
Ein Schleier des Schmerzes verhüllt jetzt dieses liebenswerte Antlitz Jesu, das einmal Kindern zugelächelt hat und auf dem Berg Tabor im Glanz der Verklärung erstrahlt war. Aber dieser Schmerz ist unsere Läuterung; dieser Schweiß und dieses Blut, die die Züge seines Antlitzes trüben und entstellen, machen uns rein.
Herr, gib, daß ich mich dazu entschließe, durch Buße endlich die elende Maske herunterzureißen, die ich mir selbst aus meinen Erbärmlichkeiten gebildet habe… Dann, und nur dann, werde ich in meinem Leben, auf dem Weg der Beschauung und der Sühne, die Züge Deines Lebens getreu nachzeichnen können. Dann werden wir Dir mehr und mehr ähnlich werden.
Wir werden ein anderer Christus, Christus selbst sein, ipse Christus.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Unsere Sünden sind die Ursache der Passion: jener Tortur, die das liebenswerte Antlitz Jesu perfectus Deus, perfectus homo verunstaltete. Auch jetzt stehen uns, im Blick auf den Herrn, unsere Erbärmlichkeiten im Wege. Deshalb erscheint uns seine Gestalt manchmal verzerrt und schattenhaft.
Wenn die Sicht sich verdunkelt, wenn das Auge trübe wird, dann müssen wir das Licht suchen. Und Christus hat gesagt: Ego sum lux mundi! (Joh 8,12), ich bin das Licht der Welt. Und Er fügte hinzu: Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern, sondern wird das Licht des Lebens haben.

 «   2   »  Suche die Nähe zur Heiligsten Menschheit Jesu… Er wird in deine Seele den unstillbaren Hunger und das unbändige Verlangen einsenken, Sein Antlitz zu schauen.
In diesem Sehnen, das auf Erden keine Sättigung finden kann, wirst du oft Trost finden.

 «   3   »  Petrus schreibt: In Jesus Christus hat Gott uns die kostbarsten und größten Verheißungen zum Geschenk gemacht. Durch sie sollt ihr der göttlichen Natur teilhaftig werden (2 Petr 1, 4).
Eine solche Teilhabe am Göttlichen bedeutet nicht, daß wir aufhörten, menschlich zu sein… Wir bleiben Menschen, ja: aber Menschen, die vor der schweren Sünde zurückschrecken; Menschen, die auch läßliche Sünden verabscheuen, Menschen, die jeden Tag zugleich mit der eigenen Schwäche die Stärke Gottes erfahren.
Und so wird uns nichts aufhalten können: weder Menschenfurcht noch Leidenschaften, noch das Fleisch, das in abgefeimter Weise revoltiert, noch der Hochmut, noch… das Alleinsein.
Ein Christ ist niemals allein. Wenn du dich verlassen fühlst, dann kommt es daher, daß du nicht auf Christus blicken willst auf diesen Christus, der nah an dir vorüberzieht… Vielleicht mit dem Kreuz.

 «   4   »  Ut in gratiarum semper actione maneamus! Ich danke Dir, mein Gott, ich danke Dir für alles: für das, was mir zuwider ist, für das, was ich nicht begreife, für das, was mich leiden macht.
Die Schläge mit Hammer und Meißel sind nötig, damit der Marmorblock Gestalt annimmt. So meißelt Gott in die Seelen das Bild seines Sohnes ein. Sei Ihm für diesen Liebeserweis dankbar!

 «   5   »  Wenn wir Christen übel daran sind, dann deshalb, weil wir unser Leben nicht klar genug auf das ausrichten, was Gott von uns will. Mag die Hand sich auch an Dornen stechen, die Augen sehen den blühenden, duftenden Rosenstrauß.

 «    VII. Station    » 

Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
Der Zug hat bereits das Stadttor durchschritten. Den Herrn verlassen abermals die Kräfte. Jesus sinkt inmitten der gröhlenden Menge, unter den Stößen der Soldaten, zum zweiten Mal zu Boden.
Körperliche Erschöpfung und die Bitternis der Seele lassen Ihn von neuern stürzen. Alle Sünden der Menschen und auch meine Sünden lasten auf seiner Heiligsten Menschheit.
Er aber hat unsere Leiden getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir hielten ihn für geschlagen, für getroffen von Gott und geplagt. Doch ob unserer Sünden ward er verwundet, ob unserer Frevel zerschlagen. Zu unserem Heile lag Strafe auf Ihm. Durch seine Striemen wurde uns Heilung (Is 53,4-5).
Jesus bricht nieder, aber sein Sturz richtet uns auf, sein Tod erweckt uns zum Leben.
Auf unseren Rückfall in die Sünde antwortet Jesus mit der Beständigkeit seines Erlöserwillens, mit einem Überfluß an Vergebung. Und damit niemand verzweifeln muß, richtet Er sich mühsam wieder auf und umarmt das Kreuz.
Niemals mehr sollen Straucheln und Niederlagen uns von Ihm trennen. Wie ein schwaches Kind sich reumütig in die starken Arme seines Vaters wirft, so wollen fortan wir, du und ich, uns anklammern an Jesu Joch. Unsere Reue, unsere Demut sie allein verleihen menschlicher Schwachheit göttliche Kraft.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Jesus fällt, erdrückt von der Last des Kreuzes… Wir fallen, in den Sog des Irdischen gerissen.
Er will lieber unter dem Kreuz zusammenbrechen, als es loslassen. So heilt Christus die Lieblosigkeit, die uns niederwirft.

 «   2   »  Du bist mutlos? Warum? Wegen deiner Erbärmlichkeiten? Wegen deiner vielen, manchmal dicht aufeinanderfolgenden Niederlagen? Weil du plötzlich tief, ganz tief gesunken bist?
Sei einfach! Öffne dein Herz. Versteh: noch ist nichts verloren. Noch kannst du weiter vorankommen, und dazu mit mehr Liebe, mehr Herz, mehr Starkmut.
Birg dich in der Gotteskindschaft: Gott ist dein Vater, der dich unendlich liebt. Das ist dein Halt, dein Hafen, wo du vor Anker gehen kannst, wie sehr auch das Meer des Lebens tosen mag. So werden dir Freude, Starkmut, Optimismus geschenkt werden. Und der Sieg!

 «   3   »  Du hast zu mir gesagt: Vater, es geht mir sehr schlecht.
Ich habe dir leise geantwortet: Nimm nur ein wenig von diesem Kreuz, nur einen kleinen Span davon, auf deine Schulter. Und sollte dir nicht einmal das gelingen…, dann laß es ganz auf Jesu starken Schultern. Und sprich schon jetzt mit mir: Herr, mein Gott: In Deine Hände lege ich das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige, das Kleine und das Große, das Wenige und das Viele, das Zeitliche und das Ewige.
Und dann sei ganz beruhigt.

 «   4   »  Manchmal habe ich mich gefragt, welches Martyrium wohl größer ist: um des Glaubens willen aus den Händen der Feinde Gottes den Tod zu empfangen oder sich Jahr um Jahr in Arbeit zu verzehren, das einzige Ziel vor Augen, der Kirche und den Seelen zu dienen und so alt zu werden, still lächelnd und unbeachtet…
Mir will scheinen, daß jenes Martyrium in der Stille heroischer ist… Dieser ist dein Weg.

 «   5   »  Um Christus nachzufolgen, um Ihm wirklich nahe zu sein, müssen wir in Demut unser Ich niedertreten, wie man die Weintrauben in der Kelter zertritt.
Wenn wir so unser Elend denn elend sind wir zerstampfen, dann hält der Herr Einzug in unsere Seele und macht sie zu seinem Zuhause. Wie in Bethanien spricht Er mit uns und wir mit dem Herrn, voll Vertrauen, als Freunde.

 «    VIII. Station    » 

Jesus tröstet die weinenden Frauen
Unter den Zuschauern am Wege des Herrn sind einige Frauen, die, von Mitleid überwältigt, in Tränen ausbrechen. Vielleicht erinnern sie sich an jene glücklichen Tage, da alle voll Staunen riefen: bene omnia fecit (Mk 7,37), Er hat alles gut gemacht.
Der Herr aber will ihrem Weinen einen tieferen, einen übernatürlichen Beweggrund verleihen. Und so fordert Er sie auf, um der Sünden willen zu weinen, denn sie sind die Ursache seines Leidens und werden die Strenge des göttlichen Gerichts nach sich ziehen:
Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch und über eure Kinder… Denn wenn es so dem grünen Holz ergeht, was wird dann mit dem dürren geschehen? (Lk 23,28 und 31).
Deine und meine Sünden, die Sünden aller Menschen stehen vor uns auf. Alles Böse, das wir getan, alles Gute, das wir unterlassen haben. Und dazu noch die Erkenntnis, daß wir weitere unzählige Gemeinheiten und Bosheiten begangen haben würden, wenn uns Jesus nicht immer wieder mit seinem liebevollen Blick Licht geschenkt hätte.
Wie wenig ist ein Leben, um zu sühnen!

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Die Heiligen, so sagst du mir, brachen in Tränen der Reue aus, wenn sie an das Leiden unseres Herrn dachten. Und ich…
Nun, es könnte sein, daß du und ich das Geschehen nur betrachten, jedoch nicht "erleben".

 «   2   »  Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf (Joh 1,11). Mehr noch: sie schleppen Ihn aus der Stadt hinaus, um Ihn zu kreuzigen.
Die Antwort des Herrn ist eine Aufforderung zur Reue: zur Reue jetzt, da die Seele noch unterwegs ist und die Zeit noch reicht.
Tiefe Reue über unsere Sünden. Schmerz wegen der abgründigen Bosheit der Menschen, die den Herrn in den Tod schickt. Sühne für alle, die sich immer noch trotzig darauf versteifen, das Kreuzesopfer Jesu Christi um seine Frucht bringen zu wollen.

 «   3   »  Versöhnen, Verstehen, Verzeihen: darum geht es. Richte niemals ein Kreuz auf, nur um daran zu erinnern, daß Menschen Menschen umgebracht haben. Es wäre ein Banner des Teufels.
Das Kreuz Christi tragen heißt vielmehr: schweigen, vergeben und für alle beten, damit alle Frieden finden.

 «   4   »  Der Meister geht auf seinem Weg immer wieder sehr nahe an uns vorüber. Er sieht uns an… Wenn du auf Ihn blickst und auf Ihn hörst und dich Ihm nicht verweigerst, dann wird Er dich lehren, all dein Tun auf die Ebene des Übernatürlichen zu heben… Wo immer du bist, wirst auch du dann Trost, Frieden und Freude säen.

 «   5   »  So stark deine Liebe auch ist, nie wird sie groß genug sein.
Des Menschen Herz vermag sich wunderbar zu weiten. Wenn es liebt, dann sprengt es, in einem crescendo der Liebe, alle Fesseln.
Wenn du Gott liebst, dann findet jedes Geschöpf in deinem Herzen einen Platz.

 «    IX. Station    » 

Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
Auf dem Weg nach Kalvaria, nur noch vierzig oder fünfzig Schritt vom Gipfel entfernt, fällt der Herr zum dritten Mal. Er kann sich nicht mehr aufrecht halten. In Ihm ist keine Kraft mehr, erschöpft bleibt Er am Boden liegen.
Er wurde mißhandelt, doch gab er sich willig darein, tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird. Wie ein Schaf das vor seinen Scherern verstummt, tat er den Mund nicht auf (Is 53,7).
Alle sind wider Ihn..: die Einheimischen und die Fremden, die Pharisäer, die Soldaten, die Hohenpriester… alle zu Henkern geworden. Maria, seine Mutter – meine Mutter – weint.
Jesus erfüllt den Willen seines Vaters! Arm: entblößt. Großherzig: denn was blieb Ihm noch, das Er nicht hingegeben hätte? Dilexit me, et tradidit semetipsum pro me (Gal 2,20), Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben, bis zum Tode.
Mein Gott: laß mich die Sünde hassen und das Heilige Kreuz umarmen und einswerden mit Dir, laß mich so Deinen liebenswerten Willen erfüllen…, von allen irdischen Anhänglichkeiten frei, und nichts anderes suchen als Deine Ehre. Gib, daß ich mich hochherzig und vorbehaltlos hingebe, mit Dir vereint zum vollkommenen Brandopfer.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Der Herr kann sich nicht mehr erheben: so schwer lastet auf ihm unser Elend. Zusammengesunken wird Er zur Richtstätte hinaufgeschleppt. Er läßt es geschehen, schweigend.
Die Demut Jesu – die Selbsterniedrigung Gottes, die uns aufrichtet und erhebt. Verstehst du jetzt, warum ich dir riet, dein Herz wie einen Teppich unter die Füße der anderen zu breiten, damit sie weich auftreten?

 «   2   »  Der Weg nach Golgotha – wie schwer fällt er doch! Auch du mußt dich überwinden, um ihn nicht zu verlassen… Aber es ist ein wunderbarer Kampf und wahrhaftig ein Zeichen der Liebe Gottes zu uns, der uns stark will, denn virtus in infirmitate perficitur (2 Kor12,9), die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.

 «   3   »  Willst du Jesus auf seinem Wege begleiten, Ihm nah, ganz nah?… Schlag das heilige Evangelium auf und lies die Leidensgeschichte des Herrn. Aber lies sie nicht nur, sondern erlebe sie. Das ist ein großer Unterschied. Bloß lesen heißt sich Vergangenes in Erinnerung rufen; miterleben aber bedeutet dabeisein, unmittelbar am Geschehen, das sich hier und jetzt vollzieht, teilnehmen als einer unter den Anwesenden.
Laß dein Herz sich weiten und zum Gefährten Christi werden. Und wenn du einmal spürst, daß es sich aus dem Staub macht und daß du feige bist wie all die anderen – dann erbitte Verzeihung für deine und für meine Feigheit.

 «   4   »  Dir ist, als stürze die ganze Welt über dir zusammen. Nirgendwo zeigt sich ein Ausweg. Wirklich, diesmal ist es unmöglich, der Schwierigkeiten Herr zu werden.
Der Herr weiß: wenn wir uns matt fühlen, dann kommen wir zu Ihm, dann beten wir besser, dann sind wir opferbereiter, dann vertiefen wir unsere Liebe zum Nächsten. Und so werden wir heilig.
Sei Gott sehr dankbar dafür, daß Er Versuchungen zuläßt… und dafür, daß du kämpfst.
Hast du denn wieder vergessen, daß Gott dein Vater ist? Ein allmächtiger, allwissender, barmherziger Vater? Niemals kann Er dir Schlechtes schicken. Was dir Sorgen bereitet, ist gut für dich, auch wenn deine irdischen Augen jetzt blind sind.
Omnia in bonum! Herr, Dein allwissender Wille geschehe, jetzt und immer!

 «   5   »  Nun begreifst du, wie viele Leiden auch du Jesus zugefügt hast, und Schmerz erfüllt dich. Wie einfach ist es, Ihn um Vergebung zu bitten und den Verrat von früher zu beweinen! Du spürst das sehnsüchtige Verlangen, Sühne zu leisten!
Gut. Aber vergiß nicht, daß der Geist der Buße vor allem darin besteht, daß wir – mag es auch noch so schwerfallen – die Pflicht eines jeden Augenblicks erfüllen.

 «    X. Station    » 

Jesus wird seiner Kleider beraubt
Der Herr hat Golgotha erreicht. Sie geben Ihm etwas Wein zu trinken, mit Galle vermischt; das soll Ihn ein wenig betäuben und die Qualen der Kreuzigung lindern. Jesus kostet davon und dankt so für den kleinen Liebesdienst, will aber nicht trinken (vgl. Mt 27,34). In der vollkommenen Freiheit der Liebe will Er den Tod erleiden.
Dann berauben Ihn die Soldaten seiner Kleider.
Vom Fuß bis zum Scheitel ist nichts daran heil nur Beulen, Striemen und frische Wunden. Man hat sie nicht ausgedrückt, nicht verbunden, nicht gelindert mit Öl (Is 1,6).
Die Henker nehmen seine Kleider an sich und teilen sie zu viert unter sich. Da das Obergewand aus einem Stück gewebt ist, sagen sie:
Wir wollen es nicht zerschneiden, sondern darum losen, wem es gehören soll (Joh 19,24).
Und wiederum geht ein Wort der Heiligen Schrift in Erfüllung: Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen um mein Gewand das Los (Ps 22,19).
Ganz entblößt ist nun der Herr, von allem gänzlich entäußert, in vollkommenster Armut. Nur das Kreuz ist sein eigen.
Christus ist der Weg, um zu Gott zu gelangen aber der Christus am Kreuz. Und um das Kreuz zu besteigen, muß das Herz frei sein, losgelöst vom Irdischen.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Auf dem Weg vom Prätorium nach Golgotha sind die Schmähungen der wütenden Menge, die Roheiten der Soldaten, der Hohn der Hohenpriester über Jesus niedergegangen… Spott und Lästerungen… Er beklagt sich nicht, Er lehnt sich nicht auf, nicht einmal, als man Ihm seine Kleider erbarmungslos vom Leibe reißt.
Erst jetzt wird mir klar, wie gedankenlos ich mich oft zu entschuldigen suche, und wieviel leere Worte ich mache. Ein fester Vorsatz: für den Herrn arbeiten und leiden – aber schweigend.

 «   2   »  Der von Wunden bedeckte Körper Jesu: wahrhaftig ein Schaubild aller Schmerzen…
Und ich erkenne in Ihm mein Gegenbild: wieviel Bequemlichkeit und Leichtsinn, wieviel Nachlässigkeit und Berechnung… Und dazu dies falsche Mitleid gegen mein Fleisch.
Gewähre mir, Herr, in der Kraft Deines Leidens und Deines Kreuzes, daß ich meine Sinne im Zaum halte und alles aus dem Weg räume, was mich von Dir fernhält!

 «   3   »  Du wirst leicht mutlos? Ich sage dir ein Wort des Trostes: Wer tut, was immer in seinen Kräften steht, dem versagt Gott seine Gnade nicht. Der Herr ist Vater. Und ruft eines seiner Kinder Ihn in der Stille des Herzens: Du mein Vater im Himmel, da bin ich, hilf mir…, und sucht es Zuflucht bei der Mutter Gottes, die unser aller Mutter ist, dann kommt es voran.
Aber Gott stellt Forderungen an uns. Er bittet uns um wirkliche Liebe; Er will keine Verräter. Es geht um unsere Treue in einem übernatürlichen Kampf, der unser Glück auf Erden ausmacht durch das Opfer.

 «   4   »  Die wirklichen Hindernisse, die dich von Christus trennen – der Hochmut, die Sinnlichkeit… – lassen sich durch Gebet und Buße überwinden. Gebet und Abtötung, das bedeutet auch Sorge für andere tragen und sich selbst vergessen. Wenn du danach lebst, wirst du sehen, wie die meisten Widerwärtigkeiten verschwinden, die dich jetzt bedrängen.

 «   5   »  Wenn wir darum ringen, wirklich ipse Christus, Christus selbst zu sein, dann verweben sich Menschliches und Göttliches in unserem Leben. Und alle unsere Anstrengungen – selbst die ganz unbedeutenden – gewinnen eine Dimension des Ewigen, weil sie sich mit dem Opfer Christi am Kreuz vereinen.

 «    XI. Station    » 

Jesus wird ans Kreuz geschlagen
Jetzt kreuzigen sie den Herrn und zusammen mit Ihm zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken. Jesus sagt:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk 23,34).
Die Liebe ist es, die den Herrn nach Golgotha geführt hat. Und auch jetzt, da Er schon am Kreuz hängt, ist jede Gebärde, ist jedes Wort Ausdruck der Liebe, einer langmütigen, starken Liebe.
Als der Ewige Hohepriester, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum (vgl. Hebr 7,3), öffnet Er seine Arme für die ganze Menschheit.
Die Hammerschläge, die Ihn ans Kreuz nageln, hallen wider gleich einem Echo des prophetischen Rufes aus der Heiligen Schrift: Sie haben mir Hände und Füße durchbohrt. All mein Gebein kann ich zählen. An meinem Anblick weiden sie sich (Ps 22,18-19).
Mein Volk, was hab' ich dir getan, womit dich gekränkt? Antworte mir! (Mich 6,3).
Wir aber, aus Schmerz innerlich zerbrochen, wollen in tiefster Aufrichtigkeit zu Jesus sagen: Ich bin Dein, ich gebe mich Dir hin und lasse mich gern ans Kreuz schlagen, indem ich inmitten der Welt ein Mensch bin, der ganz Dir gehört: Deiner Verherrlichung, Deinem Erlösungswerk und der Miterlösung der ganzen Menschheit dienend.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Der Herr ist ans Kreuz geheftet. Mitleidlos haben die Henker das Urteil vollstreckt. Jesus hat sie gewähren lassen, mit unendlicher Sanftmut.
Nötig waren solche Folterqualen nicht. Er hätte sie vermeiden können: die Bitternisse und Demütigungen, die Mißhandlungen, das abscheuliche Urteil, die Schande an der Richtstätte, die Nägel, den Lanzenstoß… Aber Er hat alles das erdulden wollen für dich und für mich. Und wir? Noch immer wollen wir uns Ihm entziehen?
Es kann geschehen, daß du einmal allein, vor einem Kruzifix – zu weinen beginnst. Halte die Tränen dann nicht zurück… Aber sieh zu, daß dein Wehklagen sich in einem Vorsatz niederschlägt.

 «   2   »  Ich liebe Christus am Kreuz so sehr, daß jedes Kruzifix mir wie ein liebevoller Vorwurf meines Herrn erscheint: Ich leide, und du… feige. Ich liebe dich, und du vergißt mich. Ich bitte, und du… sagst nein. Ich hänge hier am Kreuz, die Arme ausgebreitet als Ewiger Hoherpriester, und dulde das Äußerste aus Liebe zu dir… du aber jammerst schon bei dem geringsten Unverständnis oder bei der kleinsten Demütigung…

 «   3   »  Wie schön sind jene Kreuze auf den Gipfeln der Berge, oder zur Bekrönung eines Mahnmals, oder auf dem Turm einer Kathedrale!… Aber auch in der verborgenen Mitte der Welt muß das Kreuz aufgerichtet werden.
Denn dort will Jesus erhöht werden: mitten im Getöse einer Fabrik, einer Werkstatt, in der Ruhe einer Bibliothek, im Lärm der Straßen, in der Stille der Felder, in der Geborgenheit des Zuhause ebenso wie in einer Versammlung oder auf einem Sportplatz… Wo immer ein Christ sich um ein redliches Leben bemüht, da soll er durch seine Liebe das Kreuz Christi aufrichten. Und dieser Christus am Kreuz wird alles an sich ziehen.

 «   4   »  Nach so vielen Jahren machte jener Priester eine wunderbare Entdeckung: er begriff, daß die Heilige Messe wirklich Arbeit ist: operatio Dei, Arbeit Gottes. An diesem Tag erfuhr er, als er sie feierte, den Schmerz, die Freude und die Ermüdung. Er fühlte an seinem Leibe jene Erschöpfung eines göttlichen Tuns.
Die erste heilige Messe, das Kreuz, verlangte auch Christus die äußerste Anstrengung ab.

 «   5   »  Bevor du mit der Arbeit beginnst, leg ein Kruzifix auf deinen Tisch oder neben dein Werkzeug. Schaue ab und zu darauf… Wenn du dich einmal müde fühlst, dann gehen deine Augen zu Jesus; und mit neuer Kraft arbeitest du weiter.
Denn dieses Kruzifix ist mehr als das Portrait eines geliebten Menschen, etwa der Eltern, der Kinder, der Ehefrau oder der Braut… Er ist dein Alles: dein Vater, dein Bruder, dein Freund, dein Gott, die Liebe, die all dein Lieben einschließt.

 «    XII. Station    » 

Jesus stirbt am Kreuz
Die Inschrift oben am Kreuz weist auf den Grund der Verurteilung hin: Jesus von Nazareth, der König der Juden (Joh 19,19). Die Vorübergehenden lästern und verspotten Ihn.
Ist Er der König von Israel so steige Er jetzt vom Kreuze herab (Mt 27,42).
Einer der beiden Schächer nimmt Ihn in Schutz:
Dieser aber hat nichts Böses getan… (Lk 23,41).
Dann folgt die demütige, glaubenserfüllte Bitte an Jesus:
Jesus, gedenke mein, wenn Du in Deine Königsherrlichkeit kommst (Lk23,42).
Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein (Lk23,43).
Neben dem Kreuz Jesu steht Maria, seine Mutter, zusammen mit anderen frommen Frauen. Der Blick Jesu richtet sich auf die Mutter und dann auf den Jünger, den Er liebt. Zu Maria gewandt, sagt Er:
Frau, siehe da, dein Sohn.
Und zu dem Jünger:
Siehe da, deine Mutter (Joh 19,26-27).
Der Himmel verdunkelt sich, und Finsternis breitet sich über die Erde. Kurz vor drei Uhr nachmittags ruft Jesus:
Eli, Eli, lama sabachtani?! Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,46).
Er weiß, bald wird alles vollendet sein. Und damit sich die Schrift erfülle, sagt Er:
Mich dürstet (Joh 19,28).
Die Soldaten stecken einen mit Essig gefüllten Schwamm auf ein Schilfrohr und halten ihn an seinen Mund. Jesus nimmt davon. Dann ruft Er aus:
Es ist vollbracht (Joh 19,30).
Der Vorhang des Tempels reißt mitten entzwei, und die Erde bebt. Mit lauter Stimme ruft Jesus:
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist (Lk 23,46).
Und Er stirbt. Liebe das Opfer, es ist die Quelle des inneren Lebens. Liebe das Kreuz, es ist der Altar des Opfers. Liebe den Schmerz, leere, wie Christus, den Kelch bis zur Neige.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Et inclinato capite, tradidit spiritum (Joh 19,30). Der Herr hat seinen Geist aufgegeben. Oft hatte Er zu den Aposteln gesagt: meus cibus est… meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden (Joh 4,34). Er hat es vollendet, in Geduld, in Demut und vollständiger Entsagung… Oboediens usque ad mortem (Phil 2,8) – gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz!

 «   2   »  Ein Kreuz. Ein menschlicher Leib mit Nägeln ans Holz geheftet. Die durchbohrte Seite… Nur Maria, die Mutter, einige Frauen und ein Jüngling sind bei Jesus geblieben. Die Apostel, wo sind sie? Wo sind die, die Er geheilt hat: die Lahmen, die Blinden, die Aussätzigen?…
Und die, die Ihm zujubelten?… Niemand antwortet. Um Jesus ist nur Schweigen.
Auch du wirst vielleicht einmal die Einsamkeit des Herrn am Kreuz spüren. Dann suche Halt bei Ihm, der gestorben und auferstanden ist. Birg dich in den Wunden seiner Hände, seiner Füße, seiner Seite. Dein Wille, neu zu beginnen, wird erstarken. Du wirst dich von neuern auf den Weg machen, mit mehr Entschlossenheit, mit mehr Wirksamkeit.

 «   3   »  Wir treffen manchmal auf eine falsche Spiritualität, die uns einen zornigen, aufbegehrenden Christus vor Augen stellt, einen zusammengekrümmten Leib, der wie eine Drohung über den Menschen zu hängen scheint: ihr habt mich zerschlagen, aber ich werde meine Nägel, mein Kreuz, meine Dornen gegen euch schleudern.
Solche Menschen wissen nichts vom Geiste Jesu Christi. Er hat alles, was Er konnte, gelitten – und das ist, seiner göttlichen Natur entsprechend, unermeßlich viel gewesen! – aber seine Liebe hat sein Leiden noch übertroffen… Noch nach seinem Tod ließ Er es zu, daß ein Lanzenstoß Ihm eine weitere Wunde zufügte, damit du und ich dicht an seinem geliebten Herzen Zuflucht fänden.

 «   4   »  Wie oft habe ich jenen Vers aus dem Hymnus an die Eucharistie gebetet: peto quod petivit latro poenitens… Und immer wieder ergreift mich dieses Vorbild: so zu bitten wie der reumütige Schächer!
Als verdient nahm er die grausame Strafe an… Und mit einem einzigen Wort gewann er sich das Herz Christi und öffnete sich die Tore des Himmels.

 «   5   »  Der leblose Leib Christi hängt am Kreuz. Die Menschen, die diesem Schauspiel beiwohnten und die Vorgänge mit angesehen hatten, schlugen an die Brust und kehrten heim (Lk 23,48).
Auch du hast jetzt bereut. Versprich Jesus, daß du Ihn nie mehr kreuzigen willst, und vertraue dabei auf seine Hilfe. Sage es Ihm voll Glauben. Sage immer wieder: mein Gott, ich will Dich lieben, denn von Deiner Geburt an, als kleines Kind schon, hast Du Dich wehrlos mir ausgeliefert, im Vertrauen auf meine Treue.

 «    XIII. Station    » 

Jesus wird vom Kreuz genommen und seiner Mutter übergeben
Maria, die Schmerzensreiche, harrt aus neben dem Kreuz. Johannes ist bei ihr. Der Abend dämmert schon, und die Juden drängen, der Leichnam möge fortgeschafft werden.
Ein Ratsherr namens Josef, ein edler und gerechter Mann, der aus Arimathäa stammte, kommt auf den Kalvarienberg. Er hat von Pilatus die nach römischem Recht erforderliche Erlaubnis zur Beisetzung der Hingerichteten erwirkt. Er erwartete das Reich Gottes. Er hatte dem Beschluß und Vorgehen nicht zugestimmt (Lk 23,50-51). Auch Nikodemus, der einst des Nachts zu Ihm gekommen war, fand sich ein und brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe, wohl an hundert Pfund (Joh 19,39).
Sie waren nicht als Jünger Christi öffentlich bekannt, weder bei den großen Wundern noch bei dem triumphalen Einzug in Jerusalem waren sie dabei gewesen. Nun aber, zur Zeit des Ungemachs, da alle geflohen sind, fürchten sie sich nicht, sich zum Herrn zu bekennen.
Sie nehmen den Leichnam vom Kreuz ab und legen Ihn in die Arme der Mutter. Der Schmerz Mariens bricht von neuem aus.
Wohin ist gegangen dein Liebster, schönste der Frauen du? Wohin hat sich dein Liebster gewandt, daß wir ihn suchen vereint mit dir? (Hl 6,1).
Die allerseligste Jungfrau ist unsere Mutter. Wir wollen und können sie nicht allein lassen.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Er kam, um die Welt zu retten – die Seinen verleugnen Ihn vor Pilatus.
Er lehrte uns die Wege des Guten – sie führen Ihn auf den Weg des Kreuzes.
Er ist Vorbild gewesen in allem – sie entscheiden sich für einen Räuber und Mörder.
Er wurde geboren, um zu vergeben – sie verurteilen Ihn grundlos zum Martertod.
Er kam auf den Pfaden des Friedens – sie erklären Ihm den Krieg.
Er war das Licht – sie überliefern Ihn der Macht der Finsternis.
Er brachte die Liebe – sie zahlen es Ihm heim mit Haß.
Er kam, um seine Königsherrschaft aufzurichten – sie krönen Ihn mit Dornen.
Er wurde zum Knecht, um uns von der Sünde zu befreien – sie nageln Ihn ans Kreuz.
Er nahm Fleisch an, um uns das Leben zu geben – wir vergelten es Ihm mit dem Tod.

 «   2   »  Ich kann mir deine Vorstellung von einem Christen nicht erklären.
Hältst du es für in Ordnung, daß der Herr am Kreuz gestorben ist, und du dich damit zufriedengibst, nur das Allernötigste zu tun?
Was hat das mit dem steilen, dem engen Weg gemein, von dem Jesus spricht?

 «   3   »  Laß dich in deiner apostolischen Arbeit nicht von Niedergeschlagenheit anfechten. In ihr gibt es kein Scheitern, ebensowenig wie das Kreuz für Christus ein Scheitern war. Mut!… Weiter gegen den Strom, unter dem mütterlichen Schutz des unbefleckten Herzens Unserer Lieben Frau: Sancta Maria, refugium nostrum et virtus! – meine Zuflucht und meine Stärke bist du.
Ruhe, Gelassenheit… Gott hat sehr wenig Freunde hier auf Erden. Schiele nicht nach Rückzug aus der Welt. Scheue nicht die Last jedes einzelnen Tages, mag uns mancher von ihnen auch noch so lang vorkommen.

 «   4   »  Wenn du wirklich treu sein willst, dann halte dich ganz dicht an Maria.
Von der Botschaft des Engels bis zu ihrem Leiden unter dem Kreuz hat unserer Mutter Herz und Seele ausschließlich Jesus gehört.
Wende dich an sie mit der zärtlichen Verehrung eines Kindes, und sie wird dir die Treue und die Hingabe erwirken, die du erstrebst.

 «   5   »  "Ich tauge nichts, ich kann nichts, ich habe nichts, ich bin nichts…"
Du aber hast das Kreuz bestiegen, damit ich mir Deine unendlichen Verdienste zu eigen machen kann. Und dort werden mir auch die Verdienste der Mutter Gottes und die des heiligen Josef zuteil: sie fließen mir zu, denn ich bin ihr Sohn. Und auch die Tugenden der Heiligen und so vieler Gott hingegebener Menschen eigne ich mir an…
Dann werfe ich einen scheuen Blick auf mein Leben und sage: O Gott, dies ist eine dunkle Nacht! Nur dann und wann ein Licht. Weil Deine Barmherzigkeit groß ist und meine Antwort so jämmerlich… Das alles bringe ich Dir dar, Herr, denn etwas anderes habe ich nicht.

 «    XIV. Station    » 

Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt
In einem Garten nahe dem Golgothahügel hatte sich Josef von Arimathäa ein Grab in den Felsen hauen lassen. Dort wird Jesus bestattet; denn es ist schon der Vorabend des jüdischen Passahfestes. Josef wälzte einen großen Stein vor den Eingang des Grabes und ging weg (Mt 27,60).
Nichts besaß der Herr, als Er in die Welt kam. Nichts besitzt Er jetzt, da Er von uns geht, nicht einmal das Grab ist sein eigen.
Die Mutter des Herrn – meine Mutter – und die Frauen, die dem Meister seit den Zeiten in Galiläa gefolgt sind, beobachten aufmerksam die Grablegung; dann verlassen auch sie den Ort. Es wird Nacht.
Alles ist überstanden. Das Werk unserer Erlösung ist vollbracht. Jetzt sind wir Kinder Gottes, weil Jesus für uns gestorben ist und sein Tod uns losgekauft hat.
Empti enim estis pretio magno! (1 Kor 6,20) – du und ich sind um einen hohen Preis erkauft worden.
Wir müssen uns in das Leben und Sterben Christi selbst hineingeben. Durch Abtötung und Buße sterben, damit Christus durch die Liebe in uns lebt. Und so in seine Fußspuren treten, um zu Miterlösern für alle Menschen zu werden.
Das Leben für die anderen hingeben. Nur dann leben wir Christi Leben und werden eins mit Ihm.

Worte zur Betrachtung

 «   1   »  Nikodemus und Josef von Arimathäa sind heimliche Jünger Christi. Sie stehen an einflußreicher Stelle und von dort aus setzen sie sich für Ihn ein. In der Stunde seiner Verlassenheit, des allgemeinen Abfalls und der Schmähungen… da bekennen sie Farbe – audacter (Mk 15,43)… mit heroischer Tapferkeit!
Mit ihnen will auch ich an das Kreuz herantreten: mit der Wärme meines Herzens will ich Christus, seinem erstarrten, kalten Leichnam, ganz nahe sein… Mit meinen Sühneakten und Abtötungen will ich Ihn vom Kreuz abnehmen… Mit dem Linnen eines reinen Lebens will ich Ihn einhüllen. In meine Brust will ich Ihn einschließen; in ihr soll Er wie in einem lebenden Felsen geborgen sein, und niemand kann Ihn mir entreißen. Ich will zu Ihm sagen: Ruhe Dich aus, Herr!
Auch wenn alle Dich verlassen und verachten…, serviam! – ich will Dir dienen, Herr.

 «   2   »  Ihr wißt ja, daß ihr von eurem verkehrten… Wandel nicht mit vergänglichen Werten, mit Gold und Silber, losgekauft seid, sondern durch das kostbare Blut Christi (1 Petr 1,18-19).
Wir gehören uns nicht selbst. Mit seinem Leiden und Tod hat Christus uns erkauft. In sein Leben sind wir aufgenommen worden. Von nun an ist dies die einzige Art, hier auf Erden sinnvoll zu leben: mit Christus sterben, damit wir mit Ihm auferstehen, bis wir wie Paulus sagen können: Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir (Gal 2,20).

 «   3   »  Der Leidensweg Christi: unausschöpfbarer Quell des Lebens.
Manchmal erleben wir von neuern den freudigen Drang, der den Herrn nach Jerusalem ziehen läßt. Ein andermal die quälende Todesangst, die erst auf Golgotha sich vollendet… Dann wieder die Glorie seines Triumphes über Sünde und Tod. Immer aber, ob in der Gestalt der Freude, des Schmerzes oder der Glorie, erleben wir die Liebe des Herzens Christi.

 «   4   »  Denke zuerst an die anderen. Dann bleibt von deinem Weg auf Erden, neben den Fehltritten, die unvermeidlich sind, doch auch eine kräftige Spur des Guten zurück.
Und wenn die Stunde des Todes – die unabwendbare Stunde – herannaht, wirst du sie wie Christus mit Freude empfangen, denn wie Er werden wir auferstehen, um den Lohn der ewigen Liebe zu erhalten.

 «   5   »  Wenn ich bedenke, daß ich aller Greueltaten und Irrtümer fähig bin, die die gemeinsten Menschen begangen haben, dann geht mir auch auf, daß ich untreu werden könnte… Diese Ungewißheit ist eine weitere Wohltat der Liebe Gottes, denn wie ein kleines Kind muß ich nun Zuflucht in den Armen des Vaters suchen und jeden Tag ein wenig kämpfen, damit ich mich nicht von Ihm entferne.
Dann bin ich sicher, daß Gott mich nicht von seiner Hand lassen wird: Vergißt wohl ein Weib ihres Kindes? Erbarmt sie sich nicht der Frucht ihres Leibes? Und vergäße sie's auch; Ich vergesse dich nicht! (Jes 49,15).